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Gothein, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 7. Abhandlung): Die Reservearmee des Kapitals — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33050#0026
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26

E. Gothein:

erste Serie jener Heimarbeiter ganz unmerklich aus dem früher
selbständigen in den abhängigen Zustand herübergewandert ist
und nun den Typus für die neuen Serien derer abgibt, die über-
haupt erst von der kapitalistischen Unternehmung angesetzt
werden: sie behalten ihre alten Werkzeuge. Daß sich aber dieser
Zustand so lange hält, führt sich darauf zurück, daß er dem Unter-
nehmer zum Vorteil gereicht. Noch ist das verfügbare Kapital
gering, sein Umsatz langsam, seine Verwendung übermäßig viel-
seitig; so gilt es, mit ihm hauszuhalten, es so rasch wie möglich
immer wieder in die Hand zubekommen; jede Festlegung wird ver-
mieden. Da nun aber doch das stehende Kapital, wenn auch in
seinen rudimentären Formen, nicht entbehrt werden kann, so wird
es abgeschoben. Der „Fabrikant“ verlegt zwar regelmäßig
Baumwolle oder Seide, aber er verstellt nur selten Stühle. Erst
bei wachsendem Kapitalreichtum findet dies statt, auch dann in
verschiedenem Maße 1, wenn nicht überhaupt die Erfordernisse
rascheren Umsatzes, gesteigerter Intensität, Ersparung der Arbeit
zur Großmaschine und damit zur endgültigen Trennung auch des
stehenden Kapitals von der Arbeit führen. Ein besonderer Vorteil
für den Arbeiter aber war jener partielle Kapitalbesitz nie ge-
wesen: er hatt-e nur neben der Reservearmee der Arbeit auch
noch die des Kapitals aufzubringen gehabt.

Die Rolle des stehenden Kapitals war überall da eine günstigere,
wo es sich nicht zersplittert in vielen Händen befand, sondern
einheitlich im großen zur Verwendung kam. Das erste Beispiel
hierfür ist cler Stollenbau im bergbauliclien Betrieb. Der Stollen,
der einen ganzen Distrikt durchzieht und eine sehr bedeutende
Kapitalinvestierung, einen Arbeitsvorschuß, der jeden andern
früherer Zeiten übertrifft, bedeutet, ist das unentbelirliche Be-
triebsmittel für die vielen kleinen Zechen, denen er Wasser und
Wetter führt und deren Betrieb er damit überhaupt erst möglich
und fruchtbar maclit. Der Stollen ist also nichts als Kapital im
Dienste anderer Betriebe, er liefert keinen unmittelbaren Ertrag;
selbst die Erze, die er durchfährt, gehören nicht ihm; er übt ein
Besteuerungsrecht, das rechtlich gebunden ist und deshalb nicht
zur Aufsaugung cler kleinkapitalistischen Grubenbetriebe durclr
dieses große Ivapital führen konnte, abgesehen davon, daß auch

1 In der schweizerischen Bandweberei und Stickerei überwiegt jetzt
wohl das Verstellen der Stühle und Schifflimaschinen, in der rheinischen der
Eigenbesitz.
 
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