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Güntert, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 13. Abhandlung): Über die ahurischen und daēvischen Ausdrücke im Awesta: eine semasiologische Studie — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33316#0016
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16

Hermann Güntert:

ausgeprägtes Begleitgefühl. Man braucht in einem Satze, wie:

Sieh\ es lacht die Aue!

nur Aue durch Wiese zu ersetzen, um den verminderten Gefühls-
exponenten deutlich zu empfinden. Allein nicht nur in der Poesie,
auch in der Alltagssprache spielt dieses Begleitgefühl eine wichtige
Rolle: man denke nur an den wohlabgemessenen Unterschied
zwischen Gemahlin : Gattin : Frau. Wenn also auch die Bedeutung
bleibt, so kann die Sprache durch Veränderung des Gefülils-
exponenten auch die engstverwandten Synonyme differenzieren.

25. Legen wir uns die Frage vor, welche Wörter einen be-
sonders hohen Gefühlsexponenten besitzen, so ist es schwer darauf
eine ganz bündige Antwort zu geben, weil hier ein großer Unter-
schied zwischen den Einzelindividuen und den Völkern herrscht;
dabei handelt es sich um zarteste Abtönungen, um Feinheiten,
clem Schmetterlingsstaube vergleichbar, die man zerstören würde,
wollte man derb zupacken und schematisieren; ja oft mag es sich
um rein subjektive Empfindungen drehen: es gibt phantasievolle
Menschen und nüchterne, trockene Pedanten, von denen der eine
etwa bei gefühlsstarken Wörtern eines Dichters zu einem inneren
Erlebnis und zu Begeisterung hingerissen wird, während der andere
bei denselben Worten von schwülstigem Pathos redet; der Orientale
liebt eine größere Anhäufung empfindungsdurchglühter Wörter
als cler Europäer.

Immerhin darf man, glaube ich, als einen allgemeinen Grund-
satz die Behauptung aufstellen, daß Wörter, die immer und
immer wieder in der Alltagssprache gebraucht werden, leicht
das früher etwa vorhandene Begleitgefühl einbüßen. Man drückt
sich im allgemeinen „gewählter“, „edler“, poetischer“ aus, wenn
man die Alltagsworte, die jeder im Mund hat, meidet und unge-
wöhnliclie, seien es altertümliche, seien es neugeprägte oder neu-
entlehnte Wörter anwendet. Daher stammt die Vorliebe der Dichter
für altertümliche Wendungen und ihre Lust, neue zu prägen,
daher stammt aber auch die für unsere deutsche Sprache so ver-
hängnisvolle Neigung, Fremdwörter für alteinheimische einzusetzen:
Der alte Bader und Feldscher ist längst zum Barbier und Friseur
geworden, und wenn Meister Schaum ganz auf der Höhe seiner Zeit
steht, so nennt er sich heutzutage Coiffeur. Als Beispiele für alter-
tümliche Wendungen der Dichtersprache nenne ich Pluralbildungen
wie Mannen für Männer, Lande für Länder oder Formen wie Aar
 
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