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Güntert, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 13. Abhandlung): Über die ahurischen und daēvischen Ausdrücke im Awesta: eine semasiologische Studie — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33316#0019
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Über die ahurischen und daevischen Ausdrücke im Awesta.

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über die vielen nhd. Synonyme, weil ilinen die feinen nnd feinsten
Schattierungen nicht hekannt sind 1. Dies hat auch schon Luther,
cler gewaltige Sprachschöpfer, erkannt, wenn er in seinem pracht-
vollen Sendschreiben vom Dolmetschen so schön sagt 2:

,,Wer Deutsch kann, der weiß wohl, welch ein herzlich fein
Wort das ist, die liebe Maria, der lieb Gott, der liebe Kaiser, der
liebe Fürst, der lieb Mann, das liebe Kind. Und ich weiß nicht,
ob man das Wort auch so herzlich und gnugsam in lateinischer
oder andern Sprachen reden müg, das also dringe und klinge ins
Herz, durch alle Sinne, wie es tut in unserer Sprache.“

IV.

28. Kehren wir nach diesen allgemeinen Erwägungen wieder
zu den awestischen Synonymen zurück. Wir sind jetzt in der
Lage, das oben errungene Ergebnis in der Weise umzuformen,
claß wir sagen: Als daevisches Sonderwort wird stets clas-
jenige unter mehreren Synonymen gebraucht, das mit
der wenigst günstigen Bedeutung den negativsten
Gefühlsexponenten verbinclet, das also die unangenehmsten
Empfindungen hervorruft.

29. Aber auch die Grenze, die für die aÄmischen Wörter be-
steht, läßt sich jetzt festlegen. Wenn Worte einen hohen und scharf
entwickelten Gefühlsexponenten besitzen, also besonders ,,edel“
und „gewählt“ klingen, können sie nach dem ganzen Stil des
Awesta nur für das Schaffen und clie Schöpfungen Drmazds, aber
niemals von teuflischen Wesen gebraucht werden; ist dagegen
ein Wort allgemein in cler Umgangssprache üblich, so besitzt es
nach unseren obigen Ausführungen so gut wie keinen Gefühls-
exponenten; es ist gleichsam abgenutzt und hat in dem fort-

1 AIs sicb einmal ein Gesandter Bismarck gegenüber wegen des über-
flüssigen Reichtums der deutschen Sprache an Synonymen beklagte, führte er
als Beleg senden und schicken an, zwischen denen doch kein Unterschied
herrsche: Der Ausländer war eben unfähig, die Überlegenheit des Verbums
senden und sein positives Begleitgefühl nachzuempfinden. Bismarck, der für
diese feinen Nüancen das größte Verständnis besaß, soll dem Gesandten in
schlagfertiger Weise den Unterschied mit den Worten ldargemacht haben:
,,Sie sind zwar ein Gesandter, aber keineswegs ein geschickterl“

2 Diese Stelle zog auch Keller, Gesammelte Abhandlungen II, S. 134
heran.

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