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Güntert, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 13. Abhandlung): Über die ahurischen und daēvischen Ausdrücke im Awesta: eine semasiologische Studie — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33316#0018
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18

Hermann Güntert:

,,Vier sah ich kommen, drei nur gehen;

Den Sinn der Rede konnt’ ich nicht verstehen,

Es klang so nach, als hieß es — Not,

Ein düsteres Reimwort folgte •—- Tod:

Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.“ -—

AlsBrunnhild zum erstenmalein Veilchen sieht, läßt sie Hebbel
in seinen „Nibelungen“ von dieser Blume sagen:

,,Der möcht’ ich einen süßen Namen gehen,

Doch hat sie wohl schon einen.“

Sie meint also, einem schönen Gegenstand, dem zartduftenden,
blauen Blümelein, müsse auch ein wohllautendes Wort entsprechen.
Es liegt demnach in diesen Fällen ein Strehen vor nach Über-
einstimmung zwischen Wortklang und Wortbedeutung,
zwischen der äußeren Lautform und ihrem begrifflichen
Inhalt — eine ähnliche Forderung unseres Geistes, wie das Streben,
untereinander ähnliche Vorstellungen und Begriffe auch
durch untereinander ähnliche Lautgebilde wiederzugeben
(s. Verf., Reimwortbildungen S. 191 f.)•

27. Es gibt,wie jenes Beispiel aus Goethes ,,Faust“ zeigte, aueh
Wörter, die ein starkes Unlustgefühl in uns hervorrufen; insbeson-
dere ist das bei allen ,,gemeinen“ und ,,rohen“ Ausdrücken der Fall,
und auch hier ist es weniger der bezeichnete Gegenstand selbst,
als die dem Lautbild anhaftenden unangenehmen Empfindungen.
Wenn man etwa den Gebrauch des Wortes ,,fressen“ für „mrn“
oder ,,Maul“ für ,,Mund“ als ,,roh“ oder doch ,,derb“ bezeichnet,
so ist es natürlich nicht die Tätigkeit oder das Ding selbst, sondern
lediglich das Wort, das uns stört: wählt man in solchen Fällen einen
besseren Ausdruck, so kann man ohne weiteres clie Dinge oder
Tätigkeiten nennen, ohne im geringsten „anzustoßen“. Auch hier
ist wieder ein großer Unterschied zwischen den einzelnen Indi-
viduen und den Völkern: der Engländer findet vieles für shocking,
was der Franzose ruhig ausspricht, Schüler und Studenten gefallen
sich in burschikosen Wendungen usw.

Dieses ein Wort erst wirklich belebende Begleitgefühl aber
wird sich genau nur in lebenden Sprachen, am besten an der Mutter-
sprache, studieren lassen: bei toten Sprachen kann man nur alinen
und aus bestimmten Folgeerscheinungen Schlüsse ziehen, aber
nicht genau nachempfinden. Daher kommt die Klage der Ausländer
 
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