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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 4. Abhandlung): Die Hypothese des Unbewußten: Festrede gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 24.4.1914 — Heidelberg, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.33307#0008
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8

W. Windelband:

wir greifen zu dieser Erklärungsweise, wo wir in dem Umkreise des
Bewußtseins selbst die Erklärung von dessen Erlebnissen nicht
finden können. Ist aber so das Unbewußte der Inhalt einer niclit
verifizierbaren Hypothese, so bleibt es uns auch seinem Wesen
nach unbekannt und unaussagbar. Wir können es nur andeuten
durch Analogiebezeichnungen zu den bewußten Zuständen, die wir
damit auf irgend eine Weise in erklärenden Zusammenhang bringen
wollen. Was ein unbewußtes Gefühl, was ein unbewußter Trieb,
was eine unbewußte Vorstellung ihrem eigensten Wesen nach sind,
kann niemand aussagen. Wir können immer nur andeuten, daß
wir damit etwas meinen, was, wenn es ins Bewußtsein träte, eine
Vorstellung, ein Trieb, ein Gefühl sein würde, was aber dies doch
eben wirklich nicht ist.

Zweitens ist hervorzuheben, daß der Rückgriff auf das Un-
bewußte in der Psychologie nur dann erlaubt ist, wenn die Annahme
physischer Zustände und Verhältnisse zur Erklärung der betref-
fenden bewußten Erscheinungen in strikt nachweisbarer Weise
nicht ausreicht. Das ist eine sehr wesentliche und bedeutsame
Restriktion, welche der profusen und leichtfertigen Anwendung
der Idypothese einen Riegel vorschiebt. Unbewußt ist ja an sich
auch die ganze körperliche Wirklichkeit mit Einschluß d.es orga-
nischen Leibes, seiner Zustände und Tätigkeiten. Aber gerade dies
physisch Unbewußte ist nicht gemeint, wenn von der psycho-
logischen Hypothese des Unbewußten die Rede ist. Vielmehr muß
in jedem besonderen Falle durchaus nachgewiesen werden, daß zur
Erklärung der bewußten Zustände die Annahme des unbewußt
Physischen nicht ausreicht, ehe man dazu schreiten darf, von
unbewußten seelischen Zuständen oder Tätigkeiten auch nur hypo-
thetisch zu reden. Ein sehr interessantes Beispiel haben in dieser
Hinsicht die „unbewußten Schlüsse“ gebildet, welche lange Zeit
in der Theorie der Sinneswahrnehmung bei den Physiologen und
den Psychologen eine wichtige Rolle gespielt haben. Insbesondere
war es die Entwicklung der Raumvorstellung, ihre zweifellose Er-
ziehbarkeit durch die Erfahrung, welche die Mitwirkung der Spuren
früherer Erlebnisse bei der Deutung des unmittelbaren Erlebnisses
nahelegte. Und ebenso schienen die „Lokalzeichen“, die in der
Raumauffassung die entscheidenden Momente darbieten, als un-
bewußte Empfindungen minimaler Bewegungsantriebe für die Ein-
stellung des fixierenden und akkommodierenden Auges den Wert von
Prämissen in unbewußten Schlußtätigkeiten zu bilden. In der Tat
 
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