Metadaten

Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1914, 4. Abhandlung): Die Hypothese des Unbewußten: Festrede gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 24.4.1914 — Heidelberg, 1914

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33307#0011
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Hypothese des Unbewußten.

11

zelnen Bestandteilen cles Gedächtnisses recht schwer zu über-
windende Schwierigkeiten. Denn auch diese beharren und sind
die Bedingungen für die gemeinsame Reproduktion der einzelnen
reproduzierbaren Inhalte. Aber diese Inhalte gehören, sofern sie
physisch lokalisiert sind, unter Umständen verschiedenen weit von-
einander entlegenen Teilen des Gehirns an. Wenn also die Ver-
bindung, die ihre spätere gemeinsame Reproduktion erklärt, in
einer physischen Spur oder Disposition im Gehirn bestehen soll,
so ist nicht anzunehmen, daß jede dieser in unübersehbarer Menge
möglichen Verbindungen ursprünglich im Gehirn angelegt sei; die
Natur kann nicht jede Wahrnehmung, die wir im Leben machen,
von Amrnherein in uns angelegt haben: vielmehr kann man der
Folgerung nicht entgehen, daß bei jeder Wahrnehmung, die eine
solche Verbindung heterogener Momente herstellt, wenn diese im
Gedächtnis aufbewahrt werden und späterer Reproduktion fäliig
sein soll, die entsprechende Verbindung physisch neu entsteht. Wie
das geschehen und was es bedeuten soll, ist freilich auf keine Weise
und durch keine noch so kühne Phantasie auszudenken. Allein die
Grenzen unserer Kenntnis der unendlich feinen Struktur des
Gehirns verbieten als ein asylum ignorantiae auch hier, von einer
Unmöglichkeit zu sprechen.

Bedenklicher wird es, wenn wir auf die tatsächliche Repro-
duktion des unbewußten Gedächtnisschatzes achten: sie vollzieht
sich bekanntlich nach allen möglichen Arten der Assoziation, und
diese bestehen nicht nur in räumlichen und zeitlichen Berührungen,
sondern in allen Formen sachlicher und sinnvoller Zusammen-
gehörigkeit. Und in diesen letzteren Formen ist die Reproduktion
niemals aus den physischen Spuren zu erklären, für die es kein
anderes Prinzip der Anordnung und des Zusammenhangs geben
kann, als das räumliche Verhältnis der Lokalisation im Gehirn.
Die raumlosen Beziehungen, worin der überwiegende Teil des Zu-
sammenhangs zwischen den miteinander beharrenden und repro-
duzierbaren Momenten des Seelenlebens besteht, verlangen eine
andere Art ihrer Wirklichkeit zwischen den verschiedenen Mo-
menten ihrer Bewußtwerdung, und diese kann dann keine andere
sein als die der unbewußten seelischen Existenz.

Noch entscheidender endlich sind diejenigen Tatsachen, in
denen uns das Unbewußte nicht mehr ruhend und passiv, sondern
bewegt und aktiv sich geltend macht. Wir kennen diese Aktivität
des Unbewußten aus solchen Fällen, wo etwa eine Sorge, die wir
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften