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Richard Reitzenstein:
in der Zeitsclirift f. d. neutestam. Wissenschaft XV 60 ff. heraus-
gegeben habe 1. Daß der Asket allein Hoffnung auf Unsterblichkeit
hat, daß er Pneumatiker ist und das Leben der Engel führt, wird
hier mit der Behauptung verbunden, daß er nicht nur überirdischen
Geist, sondern auch einen überirdischen Leib hat (S. 82 Z. 216).
In der Tat liegt dieselbe Anschauung den Erzählungen Rufins
zugrunde; sie begegnet uns ferner im heidnischen Gnostizismus,
wo der Myste, der sich ganz von der Welt losgelöst hat, ihr ge-
1 An meiner Annahme, daß sie entweder gegen Ende des zweiten Jahr-
hunderts entstanden oder nicht zu lange nach Cyprian mit Benutzung einer
älteren Schrift verfaßt ist, muß ich trotz Harnacks Einspruch (Theologische
Literaturzeitung 1914 Sp. 221) festhalten. Seine lexikalischen Bedenken, die
ja den Philologen besonders treffen würden, erledigen sich leicht: quia statt des
Akkusativs mit dem Infinitiv findet sich schon im Bellum Hispaniense und
bei Petron; bei einem frühchristlichen Autor darf es nicht befremden, denn
in den Bibelzitaten Tertullians begegnet es elfmal, in clen Bibelzitaten
Cyprians sechsundsechzigmal (vgl. G. Mayen De particulis quod quia quoniam
quomodo ut pro accusativo cum injinitivo positis Kiel 1889 p. 30). Das unge-
wöhnlichere Wort scriptio (γραφή), das sich schon bei Cicero nachweisen läßt,
faßte in seinem Gebrauch für scriptura G. Mercati wohl richtiger gerade als
Merkmal hohen Alters. Das Wort creduli hat der Verfasser gar nicht für fideles
gebraucht, wie der Dativ dabei zeigt. Die von Harnack ganz miß-
verstandene Stelle (Z. 30) lautet: mundus . . quem transire cum deliciis suis vel
desideriis creduli Christo non dubie sciamus (es folgt das Bibelzitat 1. Joh.
2, 17). Hier steht creduh für das Partizip credentes Christo oder den Neben-
satz si Christo credim.us, wie etwa bei Tacitus Hist. 2, 23 humillimo cuique
credulus (Stellen aus den angusteischen Dichtern bietet der Thesaurus IV
1152, 33). Gar nichts besagt, daß das Verbalsubstantiv completor sonst
nur bei Juvencus vorkommt; der Ersatz des griechischen Participiums durch
solche Verbalsubstantiva gehört zu den bekanntesten Kunstmitteln der
silbernen Latinität (vgl. wieder Tacitus), und es macht nicht das geringste
aus, von welchem Verbum ein solches Substantiv früher schon gebildet ist.
Auch der angeblich verräterische Schlußsatz (Z. 182) ist von Harnack nur
mißverstanden: privatum esse oder alienum esse aliqua re heißt in dieser Schrift
nur ούκ εχειν oder άτυχεΐν τινός. Auf Spanien weist in der Überlieferung schlecht-
hin nichts, und die Ähnlichkeit mit den Priscillianisten, clie selbst ja auch nach
Harnack für die Schrift gar nicht in Frage kommen, beschränkt sich auf die
allgemeinen archaistischen Züge dieser Sekte. Über die Auffassung der
Gnosis encllich werden wir uns wohl nicht einigen können; noch weniger über
das Recht, 'grmMisch’ zu benenneü, was sich abgeschwächt auch als 'gemein-
christlich’ erweisen läßt. Harnacks Darstellung in der Dogmengeschichte
scheint mir an Äußerlichkeiten und Zufälligkeiten haften zu bleiben, sich in
dem Hauptpunkt selbst zu widersprechen und von den beiden Schlagworten,
die in dem Streit beständig gebraucht werden, das eine (πνευματικός) überhaupt
nicht zu berücksichtigen, dem andern (γνώσις) eine dem Sprachgebrauch der
Zeit völlig widersprechen.de, willkürliche Deutung zu geben.
Richard Reitzenstein:
in der Zeitsclirift f. d. neutestam. Wissenschaft XV 60 ff. heraus-
gegeben habe 1. Daß der Asket allein Hoffnung auf Unsterblichkeit
hat, daß er Pneumatiker ist und das Leben der Engel führt, wird
hier mit der Behauptung verbunden, daß er nicht nur überirdischen
Geist, sondern auch einen überirdischen Leib hat (S. 82 Z. 216).
In der Tat liegt dieselbe Anschauung den Erzählungen Rufins
zugrunde; sie begegnet uns ferner im heidnischen Gnostizismus,
wo der Myste, der sich ganz von der Welt losgelöst hat, ihr ge-
1 An meiner Annahme, daß sie entweder gegen Ende des zweiten Jahr-
hunderts entstanden oder nicht zu lange nach Cyprian mit Benutzung einer
älteren Schrift verfaßt ist, muß ich trotz Harnacks Einspruch (Theologische
Literaturzeitung 1914 Sp. 221) festhalten. Seine lexikalischen Bedenken, die
ja den Philologen besonders treffen würden, erledigen sich leicht: quia statt des
Akkusativs mit dem Infinitiv findet sich schon im Bellum Hispaniense und
bei Petron; bei einem frühchristlichen Autor darf es nicht befremden, denn
in den Bibelzitaten Tertullians begegnet es elfmal, in clen Bibelzitaten
Cyprians sechsundsechzigmal (vgl. G. Mayen De particulis quod quia quoniam
quomodo ut pro accusativo cum injinitivo positis Kiel 1889 p. 30). Das unge-
wöhnlichere Wort scriptio (γραφή), das sich schon bei Cicero nachweisen läßt,
faßte in seinem Gebrauch für scriptura G. Mercati wohl richtiger gerade als
Merkmal hohen Alters. Das Wort creduli hat der Verfasser gar nicht für fideles
gebraucht, wie der Dativ dabei zeigt. Die von Harnack ganz miß-
verstandene Stelle (Z. 30) lautet: mundus . . quem transire cum deliciis suis vel
desideriis creduli Christo non dubie sciamus (es folgt das Bibelzitat 1. Joh.
2, 17). Hier steht creduh für das Partizip credentes Christo oder den Neben-
satz si Christo credim.us, wie etwa bei Tacitus Hist. 2, 23 humillimo cuique
credulus (Stellen aus den angusteischen Dichtern bietet der Thesaurus IV
1152, 33). Gar nichts besagt, daß das Verbalsubstantiv completor sonst
nur bei Juvencus vorkommt; der Ersatz des griechischen Participiums durch
solche Verbalsubstantiva gehört zu den bekanntesten Kunstmitteln der
silbernen Latinität (vgl. wieder Tacitus), und es macht nicht das geringste
aus, von welchem Verbum ein solches Substantiv früher schon gebildet ist.
Auch der angeblich verräterische Schlußsatz (Z. 182) ist von Harnack nur
mißverstanden: privatum esse oder alienum esse aliqua re heißt in dieser Schrift
nur ούκ εχειν oder άτυχεΐν τινός. Auf Spanien weist in der Überlieferung schlecht-
hin nichts, und die Ähnlichkeit mit den Priscillianisten, clie selbst ja auch nach
Harnack für die Schrift gar nicht in Frage kommen, beschränkt sich auf die
allgemeinen archaistischen Züge dieser Sekte. Über die Auffassung der
Gnosis encllich werden wir uns wohl nicht einigen können; noch weniger über
das Recht, 'grmMisch’ zu benenneü, was sich abgeschwächt auch als 'gemein-
christlich’ erweisen läßt. Harnacks Darstellung in der Dogmengeschichte
scheint mir an Äußerlichkeiten und Zufälligkeiten haften zu bleiben, sich in
dem Hauptpunkt selbst zu widersprechen und von den beiden Schlagworten,
die in dem Streit beständig gebraucht werden, das eine (πνευματικός) überhaupt
nicht zu berücksichtigen, dem andern (γνώσις) eine dem Sprachgebrauch der
Zeit völlig widersprechen.de, willkürliche Deutung zu geben.