Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens.
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hin gedacht wird — selbst eine Inschrift hat: memor esto gentis
Gothorum — so drängt sich die Vermutung auf, daß jene aus dem
gotischen Kalender bekannte Selbstbenennung der Westgoten
Gut-thiuda auch in den Zeiten lhres spanischen Reiches noch als
regelmäßige Bezeichnung fortgedauert habe. Nichts lag dann
näher, als auch in lateinischer Zunge sich statt des einfachen
Gothi jener Ausdrücke zu bedienen, die so entweder geradezu eme
Übersetzung des Vofksnamens, oder wenigstens eine Anspielung
auf ihn enthalten hätten. Die häufige Anrufung des Begriffes der
gens würde dadurch allerdings an bewußtem Wert ungemein ver-
lieren; und es mag daran erinnert werden, daß im praktischen
Gebaren des Volkes von nationalem Patriotismus wenig zu spüren
ist: Zerrüttung der Staatsordnung, kirchlicher Übereifer, Roma-
nisierung des Privatlebens, Verfall überhaupt, erfüllen zumal seine
spätere Geschichte. Auch so jedoch müßte man von einem bestän-
digen Fortleben der Idee der thiuda oder gens überzeugt sein; der
Volksname selbst, wie er täglich tausendmal erklang, hätte sie m
jedem Ohr und gewiß doch auch m manchem Herzen unaufhörlich
erneuert^.
i Wie wir DAHN überhaupt die erste wissenschaftlich genugtuende
Schilderung der westgotischen Staatszustände verdanken, so ruhen auch die
oben vorgetragenen Bemerkungen durchweg auf dem von ihm umsichtig bei-
gebrachten Material (s. bes. Könige VP, 84—87; 441; 465; 495; 500; 559;
600; dazu V, 213 A. 5). Desto schwerer fällt es mir, in der Auslegung der be-
treffenden Stellen zum Teil beträchtlich von ihm abweichen zu müssen. Vor-
trefflich hebt er die Widersprüche in der nationalen wie in der politischen
Entwicklung des Reiches hervor (VP, 74; 496), verkennt und unterschätzt
dann aber in ersterer Hinsicht, wie ich glaube, die Bedeutung des so merkwür-
dig akzentuierten Begriffes der gens. Den Satz, 'Äußerungen des spezifisch
gotischen Nationalgefühls sind höchst selten' (S. 86) konnte er nur aufstellen
in der irrigenMeinung, 'alleAngehörigen -—- des Staates -— hätten Eine gens
geheißen' (ebd. A. 1). Er stützt dieselbe auf ein Gesetz Rekareds de his, qui
contra principem vel gentem aut patriam refugiunt vel insolentes existunt
(L. Vis. II, 1, 7), wo einerseits die patria Gothorum, die gens Gothorum vel
patria, das regnumnostrumvel gensusw., andererseitsdasAusIand als adversa
gens vel extranea pars einander entgegengesetzt werden. Nun wird allerdings
an dieser Stelle wie an zahlreichen anderen ähnlichen Inhalts auch im lnlande
nur eine einzige gens in Betracht gezogen. Da diese gens jedoch hier wie
anderswo mehrmals ausdrücklich als gens Gothorum bezeichnet wird, so
müßte, wenn alle Staatsangehörigen dazu gerechnet würden, auch der Goten-
name auf die Nichtgoten : Romanen, Basken, Sueven, ausgedehnt worden
sein; eine für jene Zeiten an sich unzulässige und überdies direkt zu wider-
legende Annahme (s. L. Vis. III, 1; 1 u. Isidor. passim), von der DAHN selber
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hin gedacht wird — selbst eine Inschrift hat: memor esto gentis
Gothorum — so drängt sich die Vermutung auf, daß jene aus dem
gotischen Kalender bekannte Selbstbenennung der Westgoten
Gut-thiuda auch in den Zeiten lhres spanischen Reiches noch als
regelmäßige Bezeichnung fortgedauert habe. Nichts lag dann
näher, als auch in lateinischer Zunge sich statt des einfachen
Gothi jener Ausdrücke zu bedienen, die so entweder geradezu eme
Übersetzung des Vofksnamens, oder wenigstens eine Anspielung
auf ihn enthalten hätten. Die häufige Anrufung des Begriffes der
gens würde dadurch allerdings an bewußtem Wert ungemein ver-
lieren; und es mag daran erinnert werden, daß im praktischen
Gebaren des Volkes von nationalem Patriotismus wenig zu spüren
ist: Zerrüttung der Staatsordnung, kirchlicher Übereifer, Roma-
nisierung des Privatlebens, Verfall überhaupt, erfüllen zumal seine
spätere Geschichte. Auch so jedoch müßte man von einem bestän-
digen Fortleben der Idee der thiuda oder gens überzeugt sein; der
Volksname selbst, wie er täglich tausendmal erklang, hätte sie m
jedem Ohr und gewiß doch auch m manchem Herzen unaufhörlich
erneuert^.
i Wie wir DAHN überhaupt die erste wissenschaftlich genugtuende
Schilderung der westgotischen Staatszustände verdanken, so ruhen auch die
oben vorgetragenen Bemerkungen durchweg auf dem von ihm umsichtig bei-
gebrachten Material (s. bes. Könige VP, 84—87; 441; 465; 495; 500; 559;
600; dazu V, 213 A. 5). Desto schwerer fällt es mir, in der Auslegung der be-
treffenden Stellen zum Teil beträchtlich von ihm abweichen zu müssen. Vor-
trefflich hebt er die Widersprüche in der nationalen wie in der politischen
Entwicklung des Reiches hervor (VP, 74; 496), verkennt und unterschätzt
dann aber in ersterer Hinsicht, wie ich glaube, die Bedeutung des so merkwür-
dig akzentuierten Begriffes der gens. Den Satz, 'Äußerungen des spezifisch
gotischen Nationalgefühls sind höchst selten' (S. 86) konnte er nur aufstellen
in der irrigenMeinung, 'alleAngehörigen -—- des Staates -— hätten Eine gens
geheißen' (ebd. A. 1). Er stützt dieselbe auf ein Gesetz Rekareds de his, qui
contra principem vel gentem aut patriam refugiunt vel insolentes existunt
(L. Vis. II, 1, 7), wo einerseits die patria Gothorum, die gens Gothorum vel
patria, das regnumnostrumvel gensusw., andererseitsdasAusIand als adversa
gens vel extranea pars einander entgegengesetzt werden. Nun wird allerdings
an dieser Stelle wie an zahlreichen anderen ähnlichen Inhalts auch im lnlande
nur eine einzige gens in Betracht gezogen. Da diese gens jedoch hier wie
anderswo mehrmals ausdrücklich als gens Gothorum bezeichnet wird, so
müßte, wenn alle Staatsangehörigen dazu gerechnet würden, auch der Goten-
name auf die Nichtgoten : Romanen, Basken, Sueven, ausgedehnt worden
sein; eine für jene Zeiten an sich unzulässige und überdies direkt zu wider-
legende Annahme (s. L. Vis. III, 1; 1 u. Isidor. passim), von der DAHN selber