84
ALFRED DOVE:
derartigen Tendenzen, nach dem Scheitern der Restaurations-
entwürfe Justinians, im südwestlichen Europa überhaupt vorbei.
Der allgemeine Sieg des ethnischen Prinzips in diesen Regionen
bekommt jedoch erst sein volles Relief durch den Umstand, daß
sogar das römische Wesen seiber nach und nach in gentile Beleuch-
tung herübergerückt erscheint. Indem überall, wo Barbaren-
völker die Herrschaft über den Reichsboden an sich rissen und be-
haupteten, der antike Staat fürs erste gelähmt und allmählich
vernichtet ward, verloi' der unterworfene populus Romanus mehr
und mehr seine politische Eigenschaft. und kam zuletzt nur noch
als Nationalität in Betracht. Aus Römern wurden — in unserem
Sinne des Wortes — Romanen; seit dem 6. Jahrliundert treten sie
immer häufiger als wiederhergestellte gens unter den gentes aufh
Bei dem einen Schriftsteller heißt es wohl noch mit vorsichtiger
Genauigkeit, Theoderich habe, nachdem er als rex gentium et con-
sul Romanus nach Italien gezogen, klug und friedfertig lange Zeit
regnum gentis suae et Romani populi principatum innegehabt;
ein anderer jedoch faßt das \Trhältnis kurzerhand dahin auf, daß
der Ostgotenkömg duas gentes in uno Romanorum et Gothorum
regiert habeE Hernach zählen im westgotischen Spanien die Ro-
manen einfach mit zu den gentes nostrae oder subjugatae der
Konige, oder werden unter den Individuen cujuscunque gentis
oder burgundisches, als an echt römisches Yorbild hält. 8. Capitularia reg.
Francor. ed. BoRETius p. 18 sq. u. WAiTZ, Yfg. Π, 2^ 232 A. 3.
i Wie aus Römern Romanen wurden, d. h. staatsrechtlich barbari, die noch
Romani hießen, aber nicht mehr waren, lehrt Salvian d. gub. D. Y, 23, wo
zugleich ersichtlich, daß die Umwandlung oft nicht ungern geschah: plerique,
quibus Romanus status surnrno et splendori esse debuit et honori, ad hoc
tarnen Romanae iniquitatis crudelitate compulsi sunt, ut nolint esseRomani:
etiam hi, qui ad barbaros non confugiunt, barbari tamen esse coguntur, scilicet
ut est pars rnagna Hispanorum et non minima Gallorum, omnes denique,
quos per universum Romanum orbem fecit Romana iniquitas jam non esse
Romanos. Statt hi, qui ad barbaros usw. könnte ebensogut stehen qui ad
gentes non confugiunt, gentiles tamen esse coguntur. — Cf. Oros. h. YII,
41, 7. .— Zu den Belegen für die neue Gentilisierung des römischen A'olkes
darf man Stellen, wo es sich bloß antiquai'isch de origine gentis Romanae
handelt (s. o. S.26, A. 1), natüi'lich nicht rechnen. Der Titel derRomana des
Jordanis hingegen .— de oi'igine actibusque gentis Romanorum — gehört
hierher, da er die 'römische Nation' bis auf die Gegenwart herabreichen läßt.
^ Jord. Rom. 349, wo eigentlich gentis sui steht; Anon. Vales. 60. —
Jordanis schwankt übrigens an einer anderen Stelle (Get. 152) selbst zwischen
populus und gens: sic eos (sc. Gothos, die Westgoten Alarichs) cum Romanorum
populo vivere, ut una gens utraque credere (statt credi) possit.
ALFRED DOVE:
derartigen Tendenzen, nach dem Scheitern der Restaurations-
entwürfe Justinians, im südwestlichen Europa überhaupt vorbei.
Der allgemeine Sieg des ethnischen Prinzips in diesen Regionen
bekommt jedoch erst sein volles Relief durch den Umstand, daß
sogar das römische Wesen seiber nach und nach in gentile Beleuch-
tung herübergerückt erscheint. Indem überall, wo Barbaren-
völker die Herrschaft über den Reichsboden an sich rissen und be-
haupteten, der antike Staat fürs erste gelähmt und allmählich
vernichtet ward, verloi' der unterworfene populus Romanus mehr
und mehr seine politische Eigenschaft. und kam zuletzt nur noch
als Nationalität in Betracht. Aus Römern wurden — in unserem
Sinne des Wortes — Romanen; seit dem 6. Jahrliundert treten sie
immer häufiger als wiederhergestellte gens unter den gentes aufh
Bei dem einen Schriftsteller heißt es wohl noch mit vorsichtiger
Genauigkeit, Theoderich habe, nachdem er als rex gentium et con-
sul Romanus nach Italien gezogen, klug und friedfertig lange Zeit
regnum gentis suae et Romani populi principatum innegehabt;
ein anderer jedoch faßt das \Trhältnis kurzerhand dahin auf, daß
der Ostgotenkömg duas gentes in uno Romanorum et Gothorum
regiert habeE Hernach zählen im westgotischen Spanien die Ro-
manen einfach mit zu den gentes nostrae oder subjugatae der
Konige, oder werden unter den Individuen cujuscunque gentis
oder burgundisches, als an echt römisches Yorbild hält. 8. Capitularia reg.
Francor. ed. BoRETius p. 18 sq. u. WAiTZ, Yfg. Π, 2^ 232 A. 3.
i Wie aus Römern Romanen wurden, d. h. staatsrechtlich barbari, die noch
Romani hießen, aber nicht mehr waren, lehrt Salvian d. gub. D. Y, 23, wo
zugleich ersichtlich, daß die Umwandlung oft nicht ungern geschah: plerique,
quibus Romanus status surnrno et splendori esse debuit et honori, ad hoc
tarnen Romanae iniquitatis crudelitate compulsi sunt, ut nolint esseRomani:
etiam hi, qui ad barbaros non confugiunt, barbari tamen esse coguntur, scilicet
ut est pars rnagna Hispanorum et non minima Gallorum, omnes denique,
quos per universum Romanum orbem fecit Romana iniquitas jam non esse
Romanos. Statt hi, qui ad barbaros usw. könnte ebensogut stehen qui ad
gentes non confugiunt, gentiles tamen esse coguntur. — Cf. Oros. h. YII,
41, 7. .— Zu den Belegen für die neue Gentilisierung des römischen A'olkes
darf man Stellen, wo es sich bloß antiquai'isch de origine gentis Romanae
handelt (s. o. S.26, A. 1), natüi'lich nicht rechnen. Der Titel derRomana des
Jordanis hingegen .— de oi'igine actibusque gentis Romanorum — gehört
hierher, da er die 'römische Nation' bis auf die Gegenwart herabreichen läßt.
^ Jord. Rom. 349, wo eigentlich gentis sui steht; Anon. Vales. 60. —
Jordanis schwankt übrigens an einer anderen Stelle (Get. 152) selbst zwischen
populus und gens: sic eos (sc. Gothos, die Westgoten Alarichs) cum Romanorum
populo vivere, ut una gens utraque credere (statt credi) possit.