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Rosenzweig, Franz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 5. Abhandlung): Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus: ein handschriftlicher Fund — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37638#0013
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Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus.

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Seinscharakter verloren und die aus einer theoretischen zu prak-
tisch-schöpferischen gewordene Vernunft festes Land nicht mehr
,,zu finden“, sondern „hervorzubringen“ hat, von der Idee der
Unsterblichkeit nicht mehr getrennt; die eine so gut wie die
andere ist nun Objekt des Handelns, und eben dies ist es, was Kant
gemeint hat, als er jene Ideen Postulate nannte. Der Kantianismus
irrt jetzt nicht mehr darin, daß er durch Postulate ein Reich des
Seins jenseits des Ichs zu erschließen sucht, sondern darin, daß er
den allgemeinen Postulatcharakter des ganzen Kritizismus ver-
kennt, der von einem Postulat ausgeht und nur zu Postulaten
kommt. Durch diese Auffassung allein wird ihm das Problem,
das jetzt erstmalig in die Mitte seines Denkens tritt, lösbar: wie
das Absolute aus sich selbst herausgehen und eine Welt sich ent-
gegensetzen kann. Eben dies „Problem aller Philosophie“ wird
■— so scheint es ihm jetzt — durch die Umsetzung der theore-
tischen Vernunft in eine praktisch-schöpferische gelöst. Indem er
so das rein praktische Wesen aller Vernunft (und Vernunft ist dem
Schüler Kants das „Vermögen der Ideen“) behauptet, findet er
nun die Formel, den Spinozismus der vorhergehenden Schrift
abzutun: theoretisch nicht, aber praktisch ist er widerlegbar:
„dadurch daß man ein schlechthin entgegengesetztes System in
sich realisiert“.
Die Andeutungen der Philosophischen Briefe in dieser Rich-
tung sind in der Herbst und Winter 96 auf 97 veröffentlichten
„Allgemeinen Übersicht der neuesten philosophischen Literatur“
noch schärfer herausgearbeitet. Schon die vom 26. X. 96 datierte
Antikritik der Schrift vom Ich nennt Philosophie kurz und bündig
„das reine Produkt des freien Menschen“ und erklärt, das Reich
der Ideen habe nur für die moralische Tätigkeit des Menschen
Realität; die „Allgemeine Übersicht“ nennt den Akt des Wollens
die höchste Bedingung des Selbstbewußtseins; seine Freiheit trägt
das ganze System unserer Vorstellungen; er ist das einzige Un-
begreifliche, Unauflösliche; seiner Natur nach Grundloseste, Un-
beweisbarste; diese eine Handlung und nur sie ist „ihrer Natur
nach synthetisch“ — d. h. frei aus dem Nichts schaffend —, „die
übrigen alle sind in Bezug auf sie“ (nicht für sich selber, wo auch
sie „synthetisch“, eben Handlungen, sind) „analytisch“. Dafür,
daß in diesem Wollen praktische und theoretische Philosophie
gemeinsam wurzeln, bezieht Schelling selbst sich auf Kants
Autonomiebegriff. Das Vermögen der Ideen oder das, was wir
 
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