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Franz Rosenzweig:
,,werk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung — bis auf
„die Haut entblößen. Endlich kommen die Ideen von einer morali-
schen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit • — Umsturz alles After-
Glaubens, Verfolgung des Priestertums, das neuerdings Vernunft
„heuchelt, durch die Vernunft selbst — absolute Freiheit aller
„Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen, und weder
„Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen.
* *
*
Wenn man in Schelling den Philosophen der Romantik zu
erkennen gemeint hat, so galt das in erster Linie für die Kunst -
Philosophie der Zeit um 1800. Wie er damals das Wort „Poesie“
gebrauchte, wie er die Erwartung aussprach, daß die Philosophie,
„wie sie in der Kindheit der Wissenschaft von der Poesie geboren
und genährt worden, nach ihrer Vollendung in den allgemeinen
Ozean der Poesie zurückfluten werde“: das schien ohne den Ein-
fluß des Novalis, zum mindesten nicht ohne den des Ostern 1797
erschienenen ersten Hyperionbandes Hölderlins unbegreiflich. Die
Quellen, auch die bisherigen, führen gleichwohl weiter zurück.
Das Problem, daß praktische und theoretische Philosophie
irgendwie in einer „gemeinsamen Wurzel“ Zusammenhängen
müssen, war von Kant gestellt. Gewisse Andeutungen in der
Kritik der Urteilskraft schienen die-Lösung hier versprechen zu
wollen. Die Zweckmäßigkeit des Organismus wie das Geschmacks-
urteil, beide in so rätselhafter Weise in diesem Ruch nebeneinander-
gestellt, bedeuteten, ohne daß eine systematische Klärung ihres
Verhältnisses zueinander auch nur angestrebt worden wäre, beide
etwas wie Ansätze zur Lösung jenes Problems. Schillers Rriefe
über ästhetische Erziehung Anfang 1795 ergriffen den zweiten,
den ästhetischen Gedanken der Kritik der Urteilskraft und bildeten
die Mittlerrolle der Schönheit aus, nicht in dem Sinne, daß sie
zum teleologischen Schlußpunkt des Weltprozesses, noch weniger
daß sie zum „Organon“ des Philosophierens geworden wäre,
sondern so, daß sie zwischen der Wirklichkeit des sinnlichen
Triebes und der Idealität der sittlichen Vernunft die Drücke
schlug; die Geschichtsphilosophie freilich, die Schiller im Verlauf
dieser Untersuchung ausbildete, führte dann gleichwohl zu einer
Erhebung des Schönen in das abschließende Idealreich; sie sollte
dereinst aus der Zersplitterung des modernen zur „Totalität“ des
griechischen Menschen zurückführen, ohne die Werte der Gegen-
Franz Rosenzweig:
,,werk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung — bis auf
„die Haut entblößen. Endlich kommen die Ideen von einer morali-
schen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit • — Umsturz alles After-
Glaubens, Verfolgung des Priestertums, das neuerdings Vernunft
„heuchelt, durch die Vernunft selbst — absolute Freiheit aller
„Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen, und weder
„Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen.
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Wenn man in Schelling den Philosophen der Romantik zu
erkennen gemeint hat, so galt das in erster Linie für die Kunst -
Philosophie der Zeit um 1800. Wie er damals das Wort „Poesie“
gebrauchte, wie er die Erwartung aussprach, daß die Philosophie,
„wie sie in der Kindheit der Wissenschaft von der Poesie geboren
und genährt worden, nach ihrer Vollendung in den allgemeinen
Ozean der Poesie zurückfluten werde“: das schien ohne den Ein-
fluß des Novalis, zum mindesten nicht ohne den des Ostern 1797
erschienenen ersten Hyperionbandes Hölderlins unbegreiflich. Die
Quellen, auch die bisherigen, führen gleichwohl weiter zurück.
Das Problem, daß praktische und theoretische Philosophie
irgendwie in einer „gemeinsamen Wurzel“ Zusammenhängen
müssen, war von Kant gestellt. Gewisse Andeutungen in der
Kritik der Urteilskraft schienen die-Lösung hier versprechen zu
wollen. Die Zweckmäßigkeit des Organismus wie das Geschmacks-
urteil, beide in so rätselhafter Weise in diesem Ruch nebeneinander-
gestellt, bedeuteten, ohne daß eine systematische Klärung ihres
Verhältnisses zueinander auch nur angestrebt worden wäre, beide
etwas wie Ansätze zur Lösung jenes Problems. Schillers Rriefe
über ästhetische Erziehung Anfang 1795 ergriffen den zweiten,
den ästhetischen Gedanken der Kritik der Urteilskraft und bildeten
die Mittlerrolle der Schönheit aus, nicht in dem Sinne, daß sie
zum teleologischen Schlußpunkt des Weltprozesses, noch weniger
daß sie zum „Organon“ des Philosophierens geworden wäre,
sondern so, daß sie zwischen der Wirklichkeit des sinnlichen
Triebes und der Idealität der sittlichen Vernunft die Drücke
schlug; die Geschichtsphilosophie freilich, die Schiller im Verlauf
dieser Untersuchung ausbildete, führte dann gleichwohl zu einer
Erhebung des Schönen in das abschließende Idealreich; sie sollte
dereinst aus der Zersplitterung des modernen zur „Totalität“ des
griechischen Menschen zurückführen, ohne die Werte der Gegen-