I.
Das Diatessaron und seine Bedeutung für die Textkritik
der Evangelien.
1.
Als sich Carl Lachmann .anschickte', seine Ausgabe des
Neuen Testamentes zu veröffentlichen, mit der er den Bann des
ohne jede kritisch brauchbare Grundlage zustande gekommenen
textus receptus brach, hielt er es für angezeigt, eine Rechtfer-
tigung seiner Grundsätze vorausgehen zu lassen, mit denen er
den erwarteten Widerstand kirchlicher Kreise gegen seinen Ver-
such überwinden zu können hoffte.1) Das ist ihm allerdings zu-
nächst nicht gelungen. Zwar, daßi er mit seiner Rechtfertigung
bei denjenigen Kreisen Eindruck machen werde, denen der textus
receptus für gleichbedeutend mit dem von Gott eingegebenen
Buchstaben galt, wird er selbst nicht erwartet haben. Daß aber
auch ein so besonnener und dazu philologisch vortrefflich ge-
schulter Forscher wie de Wette die Arbeit für ziemlich über-
flüssig und die darauf verwandte Mühe für unnötig ansah,
schmerzte Lachmann tief und verdarb ihm die Freude an der
Weiterarbeit.2 * *) Heute kann man sagen, daß. Fachmanns Grund-
sätze Allgemeingut geworden sind, und daß es sich nur darum
handelt, den Weg zu finden, auf dem es gelingt, diese Grundsätze
in einer möglichst vollkommenen Weise zu verwirklichen. Diese
x) „Rechenschaft über seine Ausgabe des Neuen Testaments“ in den Theolog.
Studien und Kritiken III (Hamburg 1830), S. 817—845.
2) Über Lachmanns kleine Ausgabe (1831) urteilte De Wette (Einleitung in
dasN.T. 5 1847, §48c): „Eigentümlich war das Unternehmen von Karl Lachmann,
aus den alten morgenländischen Handschriften mit Zuziehung der abendländischen
Zeugen in den Fällen, wo jene untereinander nicht übereinstimmen, 'den im 3.
und 4. Jahrli. am meisten verbreiteten Text5 darzustellen, wobei es nicht ohne
Willkür abgehen konnte, übrigens bei mangelnder Zeugenangabe das Verfahren
des Herausgebers dem Leser zu erraten blieb.“ Von einem Versuch, die Ver-
dienste Lachmanns zu würdigen, findet sich keine Spur.
1*
Das Diatessaron und seine Bedeutung für die Textkritik
der Evangelien.
1.
Als sich Carl Lachmann .anschickte', seine Ausgabe des
Neuen Testamentes zu veröffentlichen, mit der er den Bann des
ohne jede kritisch brauchbare Grundlage zustande gekommenen
textus receptus brach, hielt er es für angezeigt, eine Rechtfer-
tigung seiner Grundsätze vorausgehen zu lassen, mit denen er
den erwarteten Widerstand kirchlicher Kreise gegen seinen Ver-
such überwinden zu können hoffte.1) Das ist ihm allerdings zu-
nächst nicht gelungen. Zwar, daßi er mit seiner Rechtfertigung
bei denjenigen Kreisen Eindruck machen werde, denen der textus
receptus für gleichbedeutend mit dem von Gott eingegebenen
Buchstaben galt, wird er selbst nicht erwartet haben. Daß aber
auch ein so besonnener und dazu philologisch vortrefflich ge-
schulter Forscher wie de Wette die Arbeit für ziemlich über-
flüssig und die darauf verwandte Mühe für unnötig ansah,
schmerzte Lachmann tief und verdarb ihm die Freude an der
Weiterarbeit.2 * *) Heute kann man sagen, daß. Fachmanns Grund-
sätze Allgemeingut geworden sind, und daß es sich nur darum
handelt, den Weg zu finden, auf dem es gelingt, diese Grundsätze
in einer möglichst vollkommenen Weise zu verwirklichen. Diese
x) „Rechenschaft über seine Ausgabe des Neuen Testaments“ in den Theolog.
Studien und Kritiken III (Hamburg 1830), S. 817—845.
2) Über Lachmanns kleine Ausgabe (1831) urteilte De Wette (Einleitung in
dasN.T. 5 1847, §48c): „Eigentümlich war das Unternehmen von Karl Lachmann,
aus den alten morgenländischen Handschriften mit Zuziehung der abendländischen
Zeugen in den Fällen, wo jene untereinander nicht übereinstimmen, 'den im 3.
und 4. Jahrli. am meisten verbreiteten Text5 darzustellen, wobei es nicht ohne
Willkür abgehen konnte, übrigens bei mangelnder Zeugenangabe das Verfahren
des Herausgebers dem Leser zu erraten blieb.“ Von einem Versuch, die Ver-
dienste Lachmanns zu würdigen, findet sich keine Spur.
1*