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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0013
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I. Das Diatessaron und seine Bedeutung für die Textkritik der Evangelien. 13
aus dem Rahmen herausfallen, der damals auch noch für kirch-
liche Unterweisung möglich war.27)
In 'welchem Umfang sich auch Tatian an dieser Auseinander-
setzung der christlichen Schulen beteiligt hat, deren Kämpfe nach
dem Muster der philosophischen Schulerörterungen zu beurteilen
sind, läßt sich nur noch vermuten. Daß ein für die philoso-
phischen Probleme stark interessierter Mann, wie Tatian es war,
dieser Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen sein sollte,
ist nicht anzunehmen, zumal er als Orientale von Hause aus Ver-
ständnis für die von den G'no.stikern gesuchte Lösung der Pro-
bleme mitbrachte. Es ist daher, auch wenn sich kein Nachweis
im einzelnen mehr führen läßt, an sich nicht undenkbar, daß ihn
die Bekanntschaft mit dem System Valentins dazu führte, aus
dessen christlichem Platonismus1 sich das für seine rigoristische
Askese Brauchbare anzueignen, wie Irenaus anzudeuten scheint
(1 28, 1). In welchem Maße das geschehen ist, darüber hat Irenaus
zu schweigen für gut befunden; er begnügt, sich mit der Behaup-
tung, daß Tatian ähnlich wie Valentin von unsichtbaren Äonen
geredet habe.28)
Im Zusammenhang mit der Erörterung der in dieser lebhaft
bewegten Zeit behandelten Fragen wird auch das Interesse für
die biblischen Probleme bei Tatian entstanden sein, das sich
theoretisch und praktisch betätigte. Die Gemeinde besaß bis
dahin nur eine Heilige Schrift, das Alte Testament, das sie von
der jüdischen Synagoge übernommen hatte, und das ihr wegen
27) Sind die Oden Salomos, wie ich noch immer glaube, gnostischen Ursprungs
und der Gemeinde Valentins angehörig, vielleicht mit den Oden Valentins selbst
identisch, so würde das ein weiterer Beweis dafür sein, wie „kirchlich“ diese
Gnosis in ihren Ursprüngen -war. Daß sie diese Eigenart allerdings sehr bald
abgestreift hat, und daß die Entwicklung in einer scharf nach den heidnischen
Myslerienreligionen abbiegenden Kurve verlief, war nicht nur die Schuld der
gnostischen Schulen, sondern teilweise auch die der Kirche.
23) In der Oratio zeigen sich keine Spuren einer Anschauungsweise, die man
mit der Äonenlehre Valentins in Zusammenhang bringen könnte. Doch behauptet
Irenaus auch nur, daß Tatian erst nach dem Tode Justins zu häretischen Lehren
übergegangen sei. Er scheint das nicht aus dem schriftstellerischen Nachlaß zu
wissen, über den er sich nicht äußert und den er wohl nicht gekannt hat,
sondern der in Rom wohl noch lebendigen Überlieferung nachzuerzählen, über
die er noch gut unterrichtet sein konnte. Ist Tatian um 170 aus Rom in seine
Heimat zurückgekehrt, so konnte der um ISO schreibende Irenaus, der ständig
Beziehungen zu Rom unterhielt, recht wohl noch zuverlässige Nachrichten über
ihn erhalten.
 
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