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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0023
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I. Das Diatessaron und seine Bedeutung für die Textkritik der Evangelien. 23.
leiden mußte, daß nur zwei der Schriften unmittelbar aposto-
lischen Ursprungs zu sein behaupteten?'
Anstatt sich auf eine „uralte“ Üherlieferuhg zu berufen, deren
Vorhandensein sich nirgends nachweisen läßt, und die mit den
noch nachweisbaren Tatsachen im Widerspruch steht, wird es
vielmehr angezeigt sein, auf Tatian zurückzugehen, dessen Dia-
tessaron die erste uns bekannte Bezeugung der Vierzahl der
Evangelien enthält.49) Leider ist das Diatessaron selbst von jeder
Liberlieferung verlassen. Kein Vorwort meldet uns etwas von den
Absichten, die sein Verfasser verfolgte, oder von den Mitteln, die
ihm die Arbeit ermöglichen halfen. Wir können uns daher nur
die Arbeit, wie sie sich auf Grund der erhaltenen Reste darstellt,
wieder vergegenwärtigen; wir wissen aber nicht, welche Be-
mühungen dem Zustandekommen der Arbeit vorausgegangen sein
mögen. Ob das allein die Schuld Tatians war, der es für nicht
der Mühe wert erachtete, die Leser über diese Fragen zu unter-
richten50), oder ob im Lauf der Zeit, dies Vorwort als überflüssig
weggelassen wurde und darum spurlos verloren ging, läßt sich
nicht mehr sagen. Wenn man erwägt, daß eine lateinische Be-

49) Man kann diesen Folgerungen entgehen, wenn man das Diatessaron mög-
lichst spät datiert und es überhaupt nur in syrischer Sprache abgefaßt sein läßt,
wie es Zahn tut. Ist es griechisch abgefaßt und erst ins Syrische übersetzt ge-
wesen, wie weiter unten zu zeigen ist, so fällt seine Abfassung in die Zeit, ehe
Tatian im Dunkel seiner östlichen Heimat verschwindet. Aber man braucht sich
nicht einmal mit so unbestimmten und schwer durch Zahlen zu belegenden An-
gaben zu behelfen. Es ist höchst wahrscheinlich zu machen, daß es in Rom
entstanden ist, und zwar um die Mitte des 2. Jahrhunderts. Diese Annahmen
können allerdings nur an der Hand des Textes zur vollen Deutlichkeit gebracht
werden. So mißlich es ist, auf etwas hinweisen zu müssen, was vorläufig noch
in der Zeiten Schoß schlummert, so läßt sich doch dieser allgemeine Hinweis
hier nicht umgehen. Der Kommentar, der dem Text beigegeben werden wird,
muß die Belege bringen.
50) Wenn der λόγος ττρός "Έλληνας ein zutreffendes Bild der geistigen Eigen-
art Tatians ermöglicht, so läßt sich sehr wohl denken, daß er die Arbeit für sich
sprechen ließ, ohne daß er eine Rechtfertigung für angebracht hielt. Damit ist
aber nicht gesagt, daß er nicht dem Text des vierfachen, zu einem Klang ver-
einigten Evangeliums eine kurze Kennzeichnung der einzelnen Evangelisten voran-
gestellt habe, ähnlich wie Markion den Briefen kurze Prologe vorausschickte.
Gerade wenn das Unternehmen etwas ganz Neues darstellte, war das unumgäng-
lich. Auf diese Vorbemerkungen würde dann die in der Überlieferung ziem-
lich einhellig fortgepflanzte Kennzeichnung der Eigenart der Evangelien zurück-
zuführen sein, die sich, teilweise selbst im Wortlaut übereinstimmend, durch die
Jahrhunderte erhallen hat.
 
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