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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0029
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I. Das Diatessaron und seiue Bedeutung für die Textkritik der Evangelien. 29

Daß er auf diesen Reisen bereits das Christentum, die „bar-
barische Philosophie“, als deren Lehrer er in Rom wirkt, kennen
gelernt habe, berichtet er nicht. Vielmehr deutet er selbst an,
daß sein Übertritt erst in Rom erfolgt ist, und daß er unter seinen
Fachgenossen nicht geringes Erstaunen hervorgerufen hat.5S) Dann
hat Tatian die vier Evangelien sich in Rom zu verschaffen ge-
wußt. Bei dem regen Verkehr, der von allen Seiten auf Rom als
den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens in dem Römerreich hin-
strebte, konnte es für einen Christen nicht schwierig sein, hier an
Schriften zu erhalten, was sich irgendwo, sei es im Gebrauch der
Gemeinde, sei es in dem einzelner Kreise vorfand. Selbst das,
was irgendwo mit dem Anspruch, wertvolle Überlieferung des
Altertums zu sein, neu auftauchte, konnte auf diese Weise am
leichtesten seine Beglaubigung erhalten und von hier aus Ver-
breitung gewinnen.59) Solange Rom in dem Geistesleben der
Kirche die Stelle einnahm, die es später an Alexandrien abtreten
mußte, als hier der hierarchische Geist im Runde mit staatlicher
Bedrückung die freie Entfaltung hemmte und unterdrückte, man
darf vielleicht sagen, als in der römischen Kirche das Römertum
über das Griechentum Herr wurde, solange war dort die Stelle,
an der eine Arbeit wie das Diatessaron am ehesten unternommen
werden konnte. Auf welchem Weg Tatian in den Besitz der
Einzelevangelien und der sie begleitenden Überlieferung gelangt
ist, bleibt dunkel und wird für immer dunkel bleiben müssen:6ΐ)
ss) Er selbst läßt or. 35 die Philosophen verwundert sprechen: Τατιανός ύπέρ
τούς "Ελληνας ύπερ τε τό άπειρον των φίλοσοφησάντων πλήθος καινοτομεΐ τά
βαρβάρων δόγματα, τί γάρ χαλεπόν, so entgegnet er darauf: άνθρώπους πεψη-
νότας αμαθείς ύπό Ανθρώπου νΟν όμοιοπαθοΰς συνελόγχεσθαι; τί δε καί άτοπον
κατά τόν οίκεΐον υμών σοφιστήν γηράσκειν άεΐ πάντα διδασκόμενους; die Stelle
ist sehr bezeichnend für die Art, wie heidnische und christliche Philosophen-
schulen nebeneinander gewirkt und wie sie übereinander geurteilt haben. Dies
Verhalten der Kyniker unter Führung des Crescens entsprach offenbar durchaus
nicht der Regel, und geivöhnlich scheint das kollegiale Verhältnis respektiert
worden zu sein, genau wie es ein Menschenalter später in Alexandria der Fall war.
50) Für den Büchermarkt war Rom der Stapelplatz. Nicht nur daß Rom,
was öffentliche und private Bibliotheken anging, mit Alexandria und Athen wett-
eifern konnte, so daß die Gelehrten hier alles fanden, dessen sie für ihre Arbeit
bedurften: hier war auch der Hauptsitz des Buchhandels. Gregorovius, Hadrian 2
1883, S. 315 f.
60) Vielleicht hat Papias die Kunde vermittelt. Er kritisiert Matthäus und
Markus, und diese Kritik setzt voraus, daß ein drittes Evangelium den Maßstab
liefern mußte. Dies kann Lukas oder Johannes gewesen sein. An letzteres denkt
Ed. Schwartz, Abh. d. Gölt. Gesellsch. d. Wiss. VII, 5, 1904. S, 18 ff. gewiß mit Recht.
 
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