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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0058
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58

Erwin Preuschen:

Lorium in patriarchalischer Einfachheit inmitten seiner Bauern
lebend: so hat Marcus Aurelius in seinen Selbstgesprächen (116)
das Bild seines Schwiegervaters gezeichnet. Ein Freund alt-
römischer Art und darauf bedacht, sie in den Wirbeln einer neuen
Zeit in Ehren zu halten, hat er doch den kaiserlichen Vorzug,
ein Schirmherr auch der Wissenschaft zu sein, über seiner prak-
tischen Tätigkeit nicht vergessen wollen. Es gibt, wenn man von
der Augusteischen Zeit absieht, keine Epoche1, in der den Thron
eine solche Fülle glänzender Namen umstrahlte, wie in der Zeit
der Antonine.100) Der Kaiser förderte die Bestrebungen, indem er
die Städte planmäßig mit Lehrern der Beredsamkeit, Philosophen
und Ärzten versah, also das Schulwesen und die öffentliche Ge-
sundheitspflege in gleicher Weise zur Entwicklung brachte. Zum
erstenmal ereignete es sich jetzt, daß staatliche Professuren er-
richtet und für sie ein bestimmter Gehalt ausgesetzt wurde, der
nicht nur ein Ehrensold für besondere Verdienste darstellen sollte.
Es mag sein, daß. sich der beißende Spott Tatians eben hierauf
mit Bücksicht auf bestimmte Persönlichkeiten bezieht, wenn er
schreibt (or. 19): „Die in eurer Mitte lebenden Philosophen sind
von Selbstzucht so weit entfernt, daß sie ihr Jahresgehalt von
600 Goldgulden nur dazu einstecken, damit sie ihren langen Voll-
bart doch nicht umsonst tragen“.
Der boshafte Witz zeigt, was man sich unter dem weitherzigen
Regiment des Antoninus herausnehmen und wie weit sich die
öffentliche Kritik vorwagen durfte. Daß auch ein Christ so
schreiben konnte und dazu in einer Schrift, die er für die breiteste
Öffentlichkeit bestimmt hatte, beweist den Fortschritt der Zeiten.
Noch unter dem persönlich leicht zu verletzenden Hadrian wäre
Ähnliches unmöglich gewesen. So ist es gewiß kein Zufall, wenn
eben damals unter Antoninus Pius überhaupt zuerst eine schrift-
stellerische Betätigung der Christen beginnt110), und sofort zu einer
reichhaltigen Literatur anschwillt. Das Vertrauen, das der Kaiser
i°9) Vgl. Champagny-Döhler, Die Antonine II, Halle 1877, S. 174 ff. Latour-
Gayet, Anionin le Pieux et son temps, Paris 1888, p. 312 ss.
110) Literatur im eigentlichen Sinn hatten die Christen bis dahin kaum hervor-
gebracht. Die Evangelien waren zunächst nicht unter literarischen Gesichtspunkten
geschrieben, sondern verfolgten praktische Zwecke. Die Briefe sollten überhaupt
keine Literatur sein. Da sich diese ganze Schriftstellerei, auch wo sie sich, wie
bei Lukas, über den Durchschnitt erhebt, doch nur an die engen Kreise der Ge-
meindeglieder wandte, kann man sie nicht mit der unter Antoninus hervortretenden
Literatur der Christen vergleichen.
 
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