60
Erwin Preuschen:
feten112): si qnis aliquid fecerit, quo leves hominum animi super-
stitione numinis terrentur, div'us Marcus huiusmodi homines in
insulam relegari rescripsit (Dig. XLVIII19, 4 1. 30). War bei philo-
sophisch gebildeten Männern dies das Urteil über die Christen, so
läßt sich ermessen, wie die Haltung der öffentlichen Meinung war.
Bei ihr fanden die Vorwürfe so haarsträubender Verbrechen, wie
des Kindermordes, Kinderfressens und geschlechtlicher Aus-
schweifungen widernatürlichster Art, um so eher Glauben, als das
Volk in dieser Hinsicht grobe Buchstaben gewöhnt war und die
Späße der Mimen auf der Bühne dazu beitrugen, den letzten
Rest von Schamgefühl zu ersticken. Was Juvenal in seiner
6. Satire an solchen Scheußlichkeiten zum besten gibt, stammt aus
dem Klatsch der Weltstadt. Aber man kann aus dieser schwarzen
Liste ersehen, womit sich dieser Klatsch beschäftigte. Daß die
Christen das Bedürfnis fühlten, sich gegen solche Beschuldigungen
zu wehren, ist begreiflich; denn auf ihre gottesdienstlichen Ver-
richtungen, die dem Klatsch neue Nahrung gaben, konnten sie
nicht verzichten. Daß sie es aber unter Antoninus Pius mit Aus-
sicht auf Erfolg versuchen konnten, ist bezeichnend für die hohe
Meinung, die sie von der Milde, Weisheit und Gerechtigkeit des
Kaisers hatten.
In dieses Bild der Zeit paßt auch die Tatsache, daß eben da-
mals die Christen in Wettbewerb mit den andern Philosophen-
schulen traten, daß sie also eine andere Art der Propaganda ver-
suchten, als sie bisher nur durch die Predigt und die Wirksamkeit
im engeren Kreis stattgefunden hatte. Die eindringenden Unter-
suchungen, die Bousset auf Grund einer sorgfältigen Analyse der
Schriften von Philo und Clemens über die Bedeutung der Schül-
überlieferung in Alexandrien angestellt hat113), lassen sich auch auf
die römischen Schulen des Justinus, Valentinus, Markion, Tatian
und wohl noch anderer Lehrer, deren Namen verschollen sind,
ausdehnen. Sie'zeigen aufs neue, wie diese christlichen Schulen,
die ihre Wirksamkeit in voller Öffentlichkeit entfalteten, ver-
standen werden müssen nach dem Vorbild der heidnischen
Schulen, mit denen sie im Frieden ausgekommen zu sein scheinen,
wenn nicht, wie in Rom durch den Kyniker Crescens, sich eine
112) Daß das auf die Christen ging, zeigt Origenes, Contra Cels. VIII 48:
ώσπερ σύ κολάσεις αιωνίους νομίζεις, ούτως καί οί των ιερών εκείνων έΕηγηταί
τελεσταί τε καί μυσταγωγοί' δς σύ μεν τοϊς αλλοις άπειλεις, εκείνοι be σοί.
113) Bousset, Jüdisch-c-hristl. Schulbetrieb in Alexandria [Forschungen z. Relig.
u. Lit. des A. u. N. T., N. F., 6], 1915.
Erwin Preuschen:
feten112): si qnis aliquid fecerit, quo leves hominum animi super-
stitione numinis terrentur, div'us Marcus huiusmodi homines in
insulam relegari rescripsit (Dig. XLVIII19, 4 1. 30). War bei philo-
sophisch gebildeten Männern dies das Urteil über die Christen, so
läßt sich ermessen, wie die Haltung der öffentlichen Meinung war.
Bei ihr fanden die Vorwürfe so haarsträubender Verbrechen, wie
des Kindermordes, Kinderfressens und geschlechtlicher Aus-
schweifungen widernatürlichster Art, um so eher Glauben, als das
Volk in dieser Hinsicht grobe Buchstaben gewöhnt war und die
Späße der Mimen auf der Bühne dazu beitrugen, den letzten
Rest von Schamgefühl zu ersticken. Was Juvenal in seiner
6. Satire an solchen Scheußlichkeiten zum besten gibt, stammt aus
dem Klatsch der Weltstadt. Aber man kann aus dieser schwarzen
Liste ersehen, womit sich dieser Klatsch beschäftigte. Daß die
Christen das Bedürfnis fühlten, sich gegen solche Beschuldigungen
zu wehren, ist begreiflich; denn auf ihre gottesdienstlichen Ver-
richtungen, die dem Klatsch neue Nahrung gaben, konnten sie
nicht verzichten. Daß sie es aber unter Antoninus Pius mit Aus-
sicht auf Erfolg versuchen konnten, ist bezeichnend für die hohe
Meinung, die sie von der Milde, Weisheit und Gerechtigkeit des
Kaisers hatten.
In dieses Bild der Zeit paßt auch die Tatsache, daß eben da-
mals die Christen in Wettbewerb mit den andern Philosophen-
schulen traten, daß sie also eine andere Art der Propaganda ver-
suchten, als sie bisher nur durch die Predigt und die Wirksamkeit
im engeren Kreis stattgefunden hatte. Die eindringenden Unter-
suchungen, die Bousset auf Grund einer sorgfältigen Analyse der
Schriften von Philo und Clemens über die Bedeutung der Schül-
überlieferung in Alexandrien angestellt hat113), lassen sich auch auf
die römischen Schulen des Justinus, Valentinus, Markion, Tatian
und wohl noch anderer Lehrer, deren Namen verschollen sind,
ausdehnen. Sie'zeigen aufs neue, wie diese christlichen Schulen,
die ihre Wirksamkeit in voller Öffentlichkeit entfalteten, ver-
standen werden müssen nach dem Vorbild der heidnischen
Schulen, mit denen sie im Frieden ausgekommen zu sein scheinen,
wenn nicht, wie in Rom durch den Kyniker Crescens, sich eine
112) Daß das auf die Christen ging, zeigt Origenes, Contra Cels. VIII 48:
ώσπερ σύ κολάσεις αιωνίους νομίζεις, ούτως καί οί των ιερών εκείνων έΕηγηταί
τελεσταί τε καί μυσταγωγοί' δς σύ μεν τοϊς αλλοις άπειλεις, εκείνοι be σοί.
113) Bousset, Jüdisch-c-hristl. Schulbetrieb in Alexandria [Forschungen z. Relig.
u. Lit. des A. u. N. T., N. F., 6], 1915.