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Preuschen, Erwin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 15. Abhandlung): Untersuchungen zum Diatessaron Tatians — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37677#0062
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Erwin Preüschen:

stoff für seinen Neubau zu gewinnen. Denn für seine Zwecke
war nur noch die Einzelerzählung brauchbar, und selbst sie
mußte sich eine Auflösung in einzelne Sätze, Satzteile, ja Worte
gefallen lassen, damit ein bis ins Einzeiste durchgeführter Ver-
gleich der Parallelen möglich wurde. Aus diesem Rohstoff hat
dann Tatian sein Diatessaron aufgebaut. Er hat das mit solchem
Geschick getan, daß die meisten Abschnitte sich jetzt glatt lesen
und nicht ahnen lassen, wie bunt das Mosaik wird, sobald man
es mit den Farben der Einzelevangelien färbt PG): ein Beweis für
die glänzende Kompositionstechnik, über die er verfügte. Aber
damit hat er sich nicht begnügt. Er hat nicht nur einen neuen
Text hergestellt, er hat ihn auch bessern wollen.
Es waren nicht nur sprachliche Anstöße zu beseitigen, die
einem griechischen Ohr wehe tun konnten. Dafür hat Tatian,
der auf seine barbarische Abkunft stolze, vermutlich erst in
zweiter Linie Interesse gehabt, so wenig er auch die Anstöße ver-
kennen konnte, die sich von hier möglicherweise für die Propa-
ganda ergaben. Denn unter denselben Schwierigkeiten hatte sich
doch auch die jüdische Propaganda durchzusetzen vermocht.
Aber es waren auch sachliche Anstände zu beseitigen, und auf
sie hat Tatian scharf geachtet. Sie zu beseitigen, hat er auch
Textänderungen nicht gescheut, die als willkürlich und gewaltsam
angesehen werden müssen, die aber den Gebrauch des Werkes
zu erleichtern geeignet waren.
Leider wissen wir nicht, welche Aufnahme das AVerk in der
christlichen Gemeinde gefunden hat, wie wir auch die Umstände
nicht kennen, unter denen es aus dem Gebrauch im Abendland
wieder verdrängt wurde, nachdem es zunächst, wie das Beispiel
des Irenäus zeigt, unbedenklich benutzt worden war. Es lassen
sich allerlei Gründe vermuten, von denen der wichtigste die im
Kampf mit der Gnosis von der Synagoge entlehnte Vorstellung
von der Unantastbarkeit des Gotteswortes ist. Sobald sich diese
Vorstellung durchsetzte, mußten die Tage des Diatessarons gezählt
sein, auch wenn es im Titel. den Namen seines Verfassers nicht
nannte und sich nur schlicht als Ευαγγέλιον τοΰ σωτήρος ημών Ίησοΰ
Χρίστου bezeichnete, nicht anders als die getrennten Evangelien.
ne) In dem Textband wird das auch äußerlich durch Anwendung verschiedener
Schriftarten sichtbar gemacht werden. Hier muß ich mich darauf beschränken,
auf die o. S. 3t ff. mitgeteilten Proben und die daran angefügte Analyse zu ver-
weisen, die allerdings nur ein unvollkommenes Bild von dem Tatbestand gewähren.
 
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