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Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0008
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Gustav Neckel:

Sprödigkeit der Jungfrau einen Triumph zu verschaffen: weder
Lockungen noch Todesdrohungen beugen sie, erst der zauberischen
Übergewalt fügt sie sich. Aber ebenso unleugbar ist, daß die
Ungeduld des Götterboten, womit er nach dem zweiten ver-
schmähten Anerbieten, seinen Auftrag scheinbar vergessend,
gleich zum Schwerte greifen will, und sein erzwungenes Einlenken
ihn selbst und die Partei der Götter fühlbar bloßstellen. Das
müssen auch die alten Hörer gefühlt haben, und sie müssen darin
etwas wie einen Widerspruch gefunden haben gegen die Sym-
pathie, mit der Freys Liebessehnsucht geschildert wird.
Dies legt die Vermutung nahe, daß der Dichter der Sklrnis-
mäl an eine ältere Sage gebunden war, die wesentlich anders ver-
lief und dadurch die gestaltende Hand des Dichters gehemmt
hat1. Sie erzählte nur, wie Freyr den Riesen Gymir durch lockende
Anerbietungen zu bewegen sucht, ihm seine Tochter zu geben,
wie weder Iduns Äpfel noch Odins Ring auf jenen Eindruck machen
und der leidenschaftliche Gott dadurch hingerissen wird, schließ-
lich den wertvollsten Asenbesitz, sein eigenes Schwert — ein
noch schwereres Goldkleinod vermutlich — dem habgierigen
Riesen zu bieten: dieser nimmt frohlockend die gefürchtete Waffe
dem Feinde ab, und Gerd wird Freys Gattin.
Das Vorhandensein einer solchen Sage wird bestätigt durch
die Strophe der Lokasenna. Nach dieser hat sich ja Freyr die
Gerd erkauft durch Übergabe seines Schwertes, dies war eine
Erkaufung mit Gold — das Schwert war also anscheinend mit
schwerem Golde geschmückt —, und Freyr wird dafür büßen
an dem Tage, wo die Muspellssöhne gegen die Äsen reiten. Der
letzte Satz liefert den Abschluß der Sage, die wir Freys tragische
Liebessage nennen dürfen.
Näheres über diesen Abschluß lehren die Strophen 52 und 53
der Völuspä. Hier fällt2 Freyr von der Hand des Surt (53, 5. 6),
und zwar durch dessen Schwert, wie die vorangehende Erwähnung
desselben zeigt: skinn af sverdi söl valtiva. Die Zeile wird gewöhn-
lich übersetzt 'es leuchtet vom Schwerte die Sonne der Schlacht -
1 Ein derartiges Verhältnis dürfte oft die Ursache jener Widersprüche
und schlechten Zusammenhänge sein, aus denen man seit alters auf Inter-
polationen geschlossen hat. Vgl. die Analyse der Hymiskviöa in meinen Bei-
trägen zur Eddaforschung (1908) S. 71 ff.
2 Daß dies gemeint ist, zeigt der Zusammenhang unzweideutig.
 
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