Metadaten

Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0018
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18

Gustav Neckei.:

Wir können noch weiter gehen. Nach der Völuspä gipfelt
der Götterkampf beim Ragnarök in zwei großen Auftritten: Odin
fällt durch den Wolf und wird von 'dem großen’ Vidar gerächt,
der sein Schwert dem Unhold ins Herz stößt; und Thor stirbt
durch die Mittgartschlange, nachdem er sie tödlich getroffen hat.
Freys Fall tritt hinter diesen beiden Szenen ganz zurück. Seiner
wird in einer einzigen Verszeile gedacht, die in die Erzählung
vom Tode Odins (Str. 53) in einer Weise eingeschoben, man möchte
sagen: eingeklemmt ist, daß man deutlich merkt: dem Dichter
ist dies Nebensache, er weiß nichts Näheres darüber, oder er
schiebt es absichtlich beiseite1. Während Odin und Thor gerächt
werden, vermissen wir die Rache für Freyr. Diese Reobachtung
liegt nach derselben Seite wie die über die Muspellsleute. Surt
und Freyr, die Gegner, sind beide beraubt oder verarmt, Surt
zugunsten der anderen Götterfeinde, Freyr zugunsten Odins und
Thors, die mit jenen anderen Feinden kämpfen. Das muß Zu-
sammenhängen. Es ist eine gemeinsame Folge davon, daß ver-
schiedene Ragnarökmythen 'kyklisch zusammengebogen’ sind.
Aber nur der eine ist dabei verbogen und zu kurz gekommen:
der, dessen Held Freyr war. Das spricht dafür, daß der Frey-
mythus der ältere war.
Ein Stück dieses Freymythus, die Schwertfabel, hat sich uns
schon gezeigt beim Vergleich der Skirnismäl mit Lokasenna und
Völuspä. Auch dieses Stück war verkümmert, erwies sich mithin
als alt. Es fehlt nicht an Anhaltspunkten für eine weitere Rekon-
struktion. Der Diener des Freyr redet in den Skirnismäl seinen
Herrn an mit 'folkvaldi goda\\ das bedeutet 'Heerführer der Göt-
ter’. Ebenso heißt es in der Hüsdräpa des Ulfr Uggason, wo der
Aufzug der Äsen bei Raldrs Restattung geschildert wird: 'der
kampfkundige Freyr reitet als Erster . . . ünd führt die Krieger-
scharen an (folkum styrir)’. In der Lokasenna 35 heißt Freyr
äsa iadarr, 'der Oberste der Äsen’2. Sonst verlautet nichts darüber,
daß Freyr das Heer der Götter anführt und daß er 'kampfkundig’
1 Letzteres wäre an sich denkbar, denn das Verschlungenwerden Odins '
durch den Wolfsrachen wird sichtlich verhüllt (lyrisch verklärt), und daß
Vidar den Wolfsrachen aufreißt, wird veredelt zu einem Schwertstoß (nicht
ohne daß in dem Beiwort des Siegers die alte Vorstellung noch hervortritt).
Vgl. Olrik 1, 122 f. Daß der Völuspädichter den Kampf Freys mit Surt
erst erfunden hätte (Ztschr. d. Ver. f. Volksk. 14, 459 f.) ist schon deshalb
unannehmbar, weil das Motiv im Zusammenhänge stört.
2 Danach Beiträge 41, 169f. zu berichtigen.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften