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Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0022
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22

Gustav Neckel:

hundert der Kult eines Fruchtbarkeitsgottes namens 'Bofi’, d. i.
Böi = Bous, in Besten gelebt hat, und daß es hei den Finnen
den ähnlichen Kult eines Pekko gibt, dessen von Haus aus ger-
manischer Name mit Böi verwandt ist1. Nehmen wir also an, daß
Böi der ursprüngliche Odinssohn und Baldrrächer ist, Väli ein
späterer Eindringling in diese Stellung, so wird es wahrscheinlich,
daß letzterer schon vorher eine ähnliche Sage hatte wie Böi, denn
ohne eine gegebene Gleichartigkeit zwischen den beiden können
sie kaum gleichgesetzt worden sein. Nun ist der Name Väli jeden-
falls entstanden aus Vanila, das bedeutet 'der kleine Vane’. Einen
solchen Namen, der für einen Odinssohn ganz unpassend ist, kann,
als er noch verstanden wurde, nur ein jüngeres Glied des Vanen-
geschlechtes getragen haben, am ehesten ein Sohn des Freyr.
Der Sohn Freys aber ist dessen geborener Rächer, wie Böi der
Rächer Baldrs ist. Wir folgen also, daß Freyr einen Sohn Väli
hatte, und daß dieser ihn an Surt rächte, wie Vidar den Odin an
Fenrir. Diesen Freyrsohn müssen die Vafprüönismäl meinen,
wenn sie unter dem jungen Göttergeschlecht einen Väli nennen.
Meinten sie den Odinssohn Väli, so wäre es sehr auffallend, daß
dieser dem Vaterrächer Vidar gleichgeordnet würde, und auch
daß er die Ragnarökschlacht überlebt hätte. Keine sicher
alte (vorliterarische) Quelle nennt einen Väli unzweideutig als
Odinssohn; die Völuspä gibt dem Baldrrächer keinen Namen.
Dagegen erscheint unter den Götterwohnungen, die in den Grun-
riismäl aufgezählt werden, unmittelbar nach Freys Sitz Alfheim
ein silbergedecktes Gehöft 'Välis Sitz’ (Välaskiälf), 'den der Ase
sich in Urzeiten kunstvoll gebaut hat’. Dieser Ase Väli kann nicht
der Odinssohn sein, weil dieser erst nach Baldrs Tode geboren
wird, die Grimnismäl aber Baldr als noch lebend voraussetzen.
Die Nachbarschaft mit Freyr und das Silberdach zeigen vielmehr,
daß es der Freyrsohn ist. Seine Mutter ist wahrscheinlich die
Gerd. Denn die Werbung Freys um diese, die Fabel der Skir-
nismäl, wäre kaum besungen worden, wenn sie nicht die Vor-
geschichte der Geburt des Rächers war. Daß Freyr bei dieser
Werbung sein Schwert verliert und sich dadurch den Tod zu-
zieht, wird im Sinne einer gut germanischen poetischen Gerech-
tigkeit dadurch ausgeglichen, daß Gerd den Väli gebiert, der als

1 Näheres hierüber in einer von mir zu Ende geführten Untersuchung
über die Baldrsage.
 
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