28
Gustav Neckel:
von der Kirche geleitete irdische Strafgerechtigkeit haben manchen
frevelhaft seine mächtigen Verwandten mit Waffengewalt ge-
schützt (indem sie .ihm Zuzug leisteten, das lid der Dingschilderun-
gen in den Sagas). Dieser Mißbrauch wird gegenüber dem muspille
unnütz sein und dadurch seine Strafe finden. Wer ist also Muspilli ?
Offenbar ein Wesen oder ein Ding, das imstande ist, die Menschen,
auch die stärksten Kriegerscharen, zu vernichten ohne die Mög-
lichkeit einer Gegenwehr. Der Dichter wählt diesen Ausdruck,
weil er, seiner Bußpredigerabsicht gemäß, die Furchtbarkeit der
Gefahr eindringlich machen will. Klar ist auch, daß das, womit
Muspilli die Sünder bedroht, Feuer ist, Feuer durch die Luft von
oben her. Aber wie Muspilli selbst aussieht, erkennen wir nicht.
Wir haben den Eindruck, daß er sich hinter dem Feuer und Rauch
verbirgt.
Merkwürdig genug folgt, nach einem ermahnenden Zwischen-
stück, von Vers 73 an eine nochmalige Schilderung des Jüngsten
Gerichts, ohne Feuer und sonstige Elementarerscheinungen, da-
für mit den bestimmt gezeichneten Gestalten des Richters, der
mit einem starken Engelheer naht, der Engel, die über das Land
ziehen und die Menschen wecken, der Schutzwache, die den sitzen-
den Richter umgibt (gart ist so mihhil, V. 88), des Kreuzes Christi,
das hoch einhergetragen wird. Wir haben es hier mit einer Variante
zum siüatago-Abschnitt zu tun, die aber nicht ungeschickt diesem
angehängt ist, denn die Schreck verbreitenden Naturvorgänge,
die dort den breitesten Raum einnehmen, sind die Vorboten oder
die Einleitung des Gerichts. Das aber, was im shJatago-Abschnitt
nicht Naturgeschehen ist, wird V. 73 ff. nur wiederholt, allerdings
in viel bestimmterer und reicherer Schilderung. Dem unbestimm-
ten Ins-Land-fahren des stüatago entspricht der Einzug des suanäri
unter Hornblasen und in Begleitung der Engelscharen; dem
viriho wisön, das dem stüatago zugeschrieben wird, das Ziehen
der Engel über das Land zur Sammlung der Menschen, der leben-
den und der toten, auf das Ding (wissant, V. 80); der Wendung
von der Nutzlosigkeit der rechtsbeugenden Waffengewalt gegen-
über dem Muspilli die Schilderung der starken Engelwache um
den Richter und des anrückenden großen Engelheeres, das so
stark ist, daß niemand mit ihm streiten kann (V. 76).
Es wäre an sich denkbar, wenn auch nicht eben glaubhaft,
daß der Dichter selbst sich in dieser Weise wiederholt hätte.
Aber man hat längst beobachtet, daß das Stück V. 37—62 nicht
Gustav Neckel:
von der Kirche geleitete irdische Strafgerechtigkeit haben manchen
frevelhaft seine mächtigen Verwandten mit Waffengewalt ge-
schützt (indem sie .ihm Zuzug leisteten, das lid der Dingschilderun-
gen in den Sagas). Dieser Mißbrauch wird gegenüber dem muspille
unnütz sein und dadurch seine Strafe finden. Wer ist also Muspilli ?
Offenbar ein Wesen oder ein Ding, das imstande ist, die Menschen,
auch die stärksten Kriegerscharen, zu vernichten ohne die Mög-
lichkeit einer Gegenwehr. Der Dichter wählt diesen Ausdruck,
weil er, seiner Bußpredigerabsicht gemäß, die Furchtbarkeit der
Gefahr eindringlich machen will. Klar ist auch, daß das, womit
Muspilli die Sünder bedroht, Feuer ist, Feuer durch die Luft von
oben her. Aber wie Muspilli selbst aussieht, erkennen wir nicht.
Wir haben den Eindruck, daß er sich hinter dem Feuer und Rauch
verbirgt.
Merkwürdig genug folgt, nach einem ermahnenden Zwischen-
stück, von Vers 73 an eine nochmalige Schilderung des Jüngsten
Gerichts, ohne Feuer und sonstige Elementarerscheinungen, da-
für mit den bestimmt gezeichneten Gestalten des Richters, der
mit einem starken Engelheer naht, der Engel, die über das Land
ziehen und die Menschen wecken, der Schutzwache, die den sitzen-
den Richter umgibt (gart ist so mihhil, V. 88), des Kreuzes Christi,
das hoch einhergetragen wird. Wir haben es hier mit einer Variante
zum siüatago-Abschnitt zu tun, die aber nicht ungeschickt diesem
angehängt ist, denn die Schreck verbreitenden Naturvorgänge,
die dort den breitesten Raum einnehmen, sind die Vorboten oder
die Einleitung des Gerichts. Das aber, was im shJatago-Abschnitt
nicht Naturgeschehen ist, wird V. 73 ff. nur wiederholt, allerdings
in viel bestimmterer und reicherer Schilderung. Dem unbestimm-
ten Ins-Land-fahren des stüatago entspricht der Einzug des suanäri
unter Hornblasen und in Begleitung der Engelscharen; dem
viriho wisön, das dem stüatago zugeschrieben wird, das Ziehen
der Engel über das Land zur Sammlung der Menschen, der leben-
den und der toten, auf das Ding (wissant, V. 80); der Wendung
von der Nutzlosigkeit der rechtsbeugenden Waffengewalt gegen-
über dem Muspilli die Schilderung der starken Engelwache um
den Richter und des anrückenden großen Engelheeres, das so
stark ist, daß niemand mit ihm streiten kann (V. 76).
Es wäre an sich denkbar, wenn auch nicht eben glaubhaft,
daß der Dichter selbst sich in dieser Weise wiederholt hätte.
Aber man hat längst beobachtet, daß das Stück V. 37—62 nicht