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Gustav Neckel:
zusammen mit den Götterkämpfen beim Ragnarök, und meistens
hat man in Elias und dem Antichrist christliche Verkleidungen
Thors und der Mittgartschlange sehen wollen. Diese Gleichung
kann in keiner Weise überzeugen. Die Phantasiebilder sind zu
verschieden: auf der einen Seite der den Kopf der Meerschlange
hämmernde Gott, der, von dem Hauch der Sterbenden getroffen,
noch neun Schritte zurückschreitet, ehe er fällt — auf der anderen
ein Kampf in den Lüften1, mit Sekundanten, und das auf die
Erde träufende Blut des fallenden Heiligen. Man hat wiederholt
es bedeutsam finden wollen, daß, wie dieses Blut den Weltbrand
entzündet, so auch in der Völuspä der Brand sich unmittelbar
an den Kampf Thors mit der Schlange anschließe. Dies trifft
aber gar nicht zu, denn offenbar denkt sich der Dichter der Völuspä
das Feuer durch Surt angezündet, bei dessen Erscheinen denn auch
alsbald der Zusammenbruch der Welt beginnt; die Schilderung
der Naturkatastrophe wird dann nur unterbrochen durch die der
Kämpfe, während deren jedoch das Feuer weiterfressend gedacht
werden muß. Die eigentlichen Parallelen zu der Eliasepisode
finden sich nicht im Norden, sondern in einem altaischen Märchen
und einem russischen Liede2.
Muß also diese romantische Kombination aufgegeben wer-
den, so ist es doch noch eine Frage, ob -nicht ein andersartiger
Zusammenhang zwischen dem Luftkampf im Eliasgedicht und den
Ragnarökkämpfen besteht. Es handelt sich hier wie dort um
Kämpfe mythischer Wesen beim Weitende, im Zusammenhänge
mit einem großen Weltbrand, und wir haben gesehen, daß der
Kampf Freys mit Surt sich ebenso wie der des Elias mit dem
Antichrist in der Luft abspielt, und daß diese Erfindung von
Süden nach Skandinavien gebracht worden ist. Dieses Zusam-
mentreffen gibt um so mehr zu denken, als der eng mit Elias’
Niederlage verbundene Begriff Muspilli im Norden (Muspellz
synir) an Surt geknüpft erscheint und sein gefühlsbetonter Vor-
stellungsinhalt auf beiden Seiten derselbe ist: gegen die Über-
1 Laß der Schauplatz der Luftraum oder der Himmel ist, ergibt der
Zusammenhang (inprinnant die pergä) und wird bestätigt durch die Beobach-
tung, daß die Feuer zündenden Blutstropfen oder der zündende Blutstrom
eine Variante ist zu dem stürzenden Stern, der die Weit anzündet (Olrik
2, 180ff.) und zu dem vom Himmel herabströmenden Feuerfluß (Vetter,
Zum Muspilli S. 122 f., vgl. Olrik a. a. O.); vgl. auch den persischen Sohak
(v. d. Leyen, Gefesselter Unhold S. 6f.)-
2 Heinzel, Zeitschr. f. d. öst. Gymn. 43, 74 8.
Gustav Neckel:
zusammen mit den Götterkämpfen beim Ragnarök, und meistens
hat man in Elias und dem Antichrist christliche Verkleidungen
Thors und der Mittgartschlange sehen wollen. Diese Gleichung
kann in keiner Weise überzeugen. Die Phantasiebilder sind zu
verschieden: auf der einen Seite der den Kopf der Meerschlange
hämmernde Gott, der, von dem Hauch der Sterbenden getroffen,
noch neun Schritte zurückschreitet, ehe er fällt — auf der anderen
ein Kampf in den Lüften1, mit Sekundanten, und das auf die
Erde träufende Blut des fallenden Heiligen. Man hat wiederholt
es bedeutsam finden wollen, daß, wie dieses Blut den Weltbrand
entzündet, so auch in der Völuspä der Brand sich unmittelbar
an den Kampf Thors mit der Schlange anschließe. Dies trifft
aber gar nicht zu, denn offenbar denkt sich der Dichter der Völuspä
das Feuer durch Surt angezündet, bei dessen Erscheinen denn auch
alsbald der Zusammenbruch der Welt beginnt; die Schilderung
der Naturkatastrophe wird dann nur unterbrochen durch die der
Kämpfe, während deren jedoch das Feuer weiterfressend gedacht
werden muß. Die eigentlichen Parallelen zu der Eliasepisode
finden sich nicht im Norden, sondern in einem altaischen Märchen
und einem russischen Liede2.
Muß also diese romantische Kombination aufgegeben wer-
den, so ist es doch noch eine Frage, ob -nicht ein andersartiger
Zusammenhang zwischen dem Luftkampf im Eliasgedicht und den
Ragnarökkämpfen besteht. Es handelt sich hier wie dort um
Kämpfe mythischer Wesen beim Weitende, im Zusammenhänge
mit einem großen Weltbrand, und wir haben gesehen, daß der
Kampf Freys mit Surt sich ebenso wie der des Elias mit dem
Antichrist in der Luft abspielt, und daß diese Erfindung von
Süden nach Skandinavien gebracht worden ist. Dieses Zusam-
mentreffen gibt um so mehr zu denken, als der eng mit Elias’
Niederlage verbundene Begriff Muspilli im Norden (Muspellz
synir) an Surt geknüpft erscheint und sein gefühlsbetonter Vor-
stellungsinhalt auf beiden Seiten derselbe ist: gegen die Über-
1 Laß der Schauplatz der Luftraum oder der Himmel ist, ergibt der
Zusammenhang (inprinnant die pergä) und wird bestätigt durch die Beobach-
tung, daß die Feuer zündenden Blutstropfen oder der zündende Blutstrom
eine Variante ist zu dem stürzenden Stern, der die Weit anzündet (Olrik
2, 180ff.) und zu dem vom Himmel herabströmenden Feuerfluß (Vetter,
Zum Muspilli S. 122 f., vgl. Olrik a. a. O.); vgl. auch den persischen Sohak
(v. d. Leyen, Gefesselter Unhold S. 6f.)-
2 Heinzel, Zeitschr. f. d. öst. Gymn. 43, 74 8.