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Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0036
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36

Gustav Neckel:

Rheingegenden oder gar in England. Noch Jahrhunderte später
zeugen die Nibelungen von dieser Kulturbeharrlichkeit des Süd-
ostens und des Nordens. Wahrscheinlich hätten weder Otfried
noch Cynewulf bei ihrem Publikum Verständnis gefunden, wenn
sie ihm vom Muspilli oder Muspell gesprochen hätten. Crist III
schildert den 'Tag’ (V. 868 ff.) mit rein christlicher Terminologie,
ohne eine sichere Spur heidnischer Erinnerungen. Weit länger
und vollständiger aber als irgendwo in Deutschland hat sich das
Wissen um Muspell und die Muspellz megir bei den Skandinaviern
und besonders in Island erhalten.
Aber alle unsere Quellen, nordische wie deutsche, ziehen
über den Begriff Muspell einen Schleier: wir sehen nirgends ganz
klar, wer oder was Muspell eigentlich ist. Auch die Etymologie
hilft uns nicht. Immerhin läßt sich eine plausible Vermutung auf-
stellen: Der älteste Quellenbestand, derjenige, den wir durch
Vergleichung der nordischen und deutschen Quellen gewinnen,
zeigt uns Wendungen wie 'Muspell kommt’, 'Muspell fährt mit
dem Feuer’, 'Muspells Schar, oder Muspells Söhne, fahren über
die Menschen, oder reiten über den Dunkelwald’. Der unmittel-
bare Eindruck ist, daß Muspell eine Person sein muß, also ein
Dämon oder ein Riese. Dazu stimmen- die Ausdrücke fifls megir
= Muspellz megir in der Völuspä, Muspellz skip (nach Snorri)
und Muspellzheimr, ebenso die dem Eliasdichter vorschwebende
Gleichung zwischen Muspilli und dem Weltrichter. Der ab-
weichende Gebrauch von Muspell als Ländername (bei Snorri)
scheint auf Umdeutung zu beruhen: man wußte nichts von Muspell
als den Namen, und der war mehrdeutig, konnte auch ein Neutrum
sein, Muspellz heimr konnte gebaut sein wie Aurvanga siot. Da-
bei hat es mitgewirkt, daß als Anführer der Muspellssöhne ein
anderer als Muspell überliefert war, nämlich Surt. Das Variations-
verhältnis zwischen Mudspelli und dem 'Tag’ (Hel. 4358. 60,
vgl. Musp. 55. 57) zeugt dagegen nicht von Umdeutung, denn
der biblische 'Tag’ ist halb und halb eine Person. Wenn im Heliand
2591 f. mudspelles megin durch endi thesaro weroldes variiert wird,
so erklärt sich dies durch das gedankliche Zwischenglied 'der letzte
Tag’ (Hel. 4360f.). Das setzt allerdings wohl Verblassung des
Begriffes für den Helianddichter voraus. Er gebraucht eine
überlieferte Phrase, ohne sie ganz zu verstehen: mudspelli ist ihm
zum Neutrum geworden, ebenso wie den Isländern des 12. und
13. Jahrhunderts: wie bei diesen noch der possessive Genetiv
 
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