Über das landschaftliche Relief bei den Griechen.
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den. Freilich, späteren Zeiten ging dieses Zusammenspiel zu weit,
und der äußeren Harmonie schien die innere nicht zu entsprechen.
Am Parthenon hat der größte Baumeister der Antike im Verein
mit dem Meister der Giebelfiguren auf die äußere Einheit zugunsten
einer tiefer innerlich begründeten verzichtet, und man hat die starren
Linien des Giebelfeldes mit Gruppen gefüllt, welche in der Ab-
gewogenheit ihrer Zusammenfügung niemals wieder erreicht wor-
den sind15.
Am dorischen Tempel ist jedes Glied stärker als am ionischen
den Grundgesetzen des Tragens und Lastens untergeordnet und
drückt diese Gesetze schärfer als dort durch seine Gestalt aus.
Karyatiden an Stelle der Säulen würden dem dorischen Stil-
gefühl nicht adäquat sein: das durch sie hervorgerufene Zer-
flattern der Linien steht in all zu krassem Gegensatz zur Ge-
schlossenheit des dorischen Tempels16.
Der klassische Tempelfries, der des Parthenon, geht über
die Friese der archaischen Kunst ebensoweit hinaus, wie der
Olympiagiebel über seine unmittelbaren Vorgänger. Betrachten
wir die Friese der delphischen Schatzhäuser: eng aneinander ge-
drängt verknüpfen sich die Gruppen der Kämpfenden miteinander.
Dagegen gemeinsam mit dem Parthenonfries die übrigen großen
Friese wenigstens Athens: Theseion und Niketempel. Klar und
scharf sind die Linien voneinander getrennt; nirgends herrscht
Zweifel, nirgends Undeutlichkeit. Am stärksten wirkt der Pan-
athenaeenzug: die stille Ordnung, die streng durchgeführte Iso-
kephalie, die planmäßig gleichwertige Füllung des Raumes, dies
alles unterstützt den Eindruck, daß im Athen des 5. Jahrhunderts
dem Friese seine dekorative Eigenbedeutung genommen ist und daß
er an seinem Platze eben eine tektonische Aufgabe zu erfüllen hat.
Diesem großen einheitlichen Gedanken, der die einzelnen Glieder
nur als dienende dem Ganzen unterordnet, ist die selbständige
Ausgestaltung, die an sich innerhalb der reliefplastischen Möglich-
15 Scheffler, a. a. O. S. 77 hat, wenn er es auch nicht wissenschaftlich
formuliert, fein empfunden, daß der Ostgiebel des Parthenon nicht mehr
■ nehmen wir für einen Augenblick seine Terminologie an -— „griechisch“
in dem von ihm begrenzten Sinn ist. Die „Formen der Unruhe und des
Leidens“ überwiegen die „der Ruhe und des Glückes“ (vgl. S. 38).
18 Es ist bezeichnend, daß die Atlanten des dorischen Zeustempels von
Agrigent mit der Wand unlösbar verknüpft, die ionischen Koren freistehende
Stützen sind.
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den. Freilich, späteren Zeiten ging dieses Zusammenspiel zu weit,
und der äußeren Harmonie schien die innere nicht zu entsprechen.
Am Parthenon hat der größte Baumeister der Antike im Verein
mit dem Meister der Giebelfiguren auf die äußere Einheit zugunsten
einer tiefer innerlich begründeten verzichtet, und man hat die starren
Linien des Giebelfeldes mit Gruppen gefüllt, welche in der Ab-
gewogenheit ihrer Zusammenfügung niemals wieder erreicht wor-
den sind15.
Am dorischen Tempel ist jedes Glied stärker als am ionischen
den Grundgesetzen des Tragens und Lastens untergeordnet und
drückt diese Gesetze schärfer als dort durch seine Gestalt aus.
Karyatiden an Stelle der Säulen würden dem dorischen Stil-
gefühl nicht adäquat sein: das durch sie hervorgerufene Zer-
flattern der Linien steht in all zu krassem Gegensatz zur Ge-
schlossenheit des dorischen Tempels16.
Der klassische Tempelfries, der des Parthenon, geht über
die Friese der archaischen Kunst ebensoweit hinaus, wie der
Olympiagiebel über seine unmittelbaren Vorgänger. Betrachten
wir die Friese der delphischen Schatzhäuser: eng aneinander ge-
drängt verknüpfen sich die Gruppen der Kämpfenden miteinander.
Dagegen gemeinsam mit dem Parthenonfries die übrigen großen
Friese wenigstens Athens: Theseion und Niketempel. Klar und
scharf sind die Linien voneinander getrennt; nirgends herrscht
Zweifel, nirgends Undeutlichkeit. Am stärksten wirkt der Pan-
athenaeenzug: die stille Ordnung, die streng durchgeführte Iso-
kephalie, die planmäßig gleichwertige Füllung des Raumes, dies
alles unterstützt den Eindruck, daß im Athen des 5. Jahrhunderts
dem Friese seine dekorative Eigenbedeutung genommen ist und daß
er an seinem Platze eben eine tektonische Aufgabe zu erfüllen hat.
Diesem großen einheitlichen Gedanken, der die einzelnen Glieder
nur als dienende dem Ganzen unterordnet, ist die selbständige
Ausgestaltung, die an sich innerhalb der reliefplastischen Möglich-
15 Scheffler, a. a. O. S. 77 hat, wenn er es auch nicht wissenschaftlich
formuliert, fein empfunden, daß der Ostgiebel des Parthenon nicht mehr
■ nehmen wir für einen Augenblick seine Terminologie an -— „griechisch“
in dem von ihm begrenzten Sinn ist. Die „Formen der Unruhe und des
Leidens“ überwiegen die „der Ruhe und des Glückes“ (vgl. S. 38).
18 Es ist bezeichnend, daß die Atlanten des dorischen Zeustempels von
Agrigent mit der Wand unlösbar verknüpft, die ionischen Koren freistehende
Stützen sind.