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Pagenstecher, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 1. Abhandlung): Über das landschaftliche Relief bei den Griechen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37678#0026
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18

Rudolf Pagenstecher:

wir uns an die Darstellung des heiligen Temenos mit dem über die
Mauer vorragenden Baum aus einem Porosgiebel der Akropolis34,
denken wir an die erheblich späteren Reliefs von Lokri35, auf denen
Bäume mit Astwerk und Blättern zu sehen sind, die belebt werden
von Vögeln und Heuschrecken, und unter denen die heiligen
Dienerinnen der Gottheit einherwandeln, so daß ein Gesamtbild
entsteht, wie es das Bologneser Fragment einer Marmorvase kaum
anders schildert36, das doch in Ägypten zutage gekommen ist und
wohl erst für römisch gehalten werden kann, so wird es für uns
sicher, daß eine freiwillige Selbstbeschränkung der klassischen
Reliefkunst vorliegt, und daß der Hellenismus über diese hinüber
in seiner Sehnsucht nach reicherer Gestaltung des Äußeren, wie
in so vielem auch hierin, auf die archaische Periode zurückgegriffen
hat37.
Das eigenartige von Lippold publizierte Relief von der
Chalkidike38 versetzt uns aus dem geschlossenen Raum des Heil-
gottes in die freie Natur. Keinerlei Begrenzung, auch nicht durch
eine Architektur. Der Baum nimmt die Mitte der Szene ein. Er
breitet seine Äste aus und der Bildhauer hat es nicht verschmäht,
die Spaltung der einzelnen Äste in kleinere Zweige, ja sogar be-
scheidenen Blattschmuck anzugeben. Um die Äste des Baumes
ringelt sich die Schlange, welcher der Angriff der Begleiter und
der flehende Arm des auf der Bahre herangetragenen Kranken
gelten. Die Heilszene ist der veränderten Sachlage entsprechend
aus dem Temenos ins Freie verlegt. Frei dehnt sich der Luftraum
über den Häuptern der Männer. Stilistische Beurteilung gibt uns
das Recht, das Relief in das 5. Jahrhundert zu setzen. Soviel
Freiheit der Auffassung, ein solches Überschreiten der in Attika
gültigen Grenzen außerhalb Athens, muß uns immer wieder dazu
führen, der griechischen Kunst ein weit vielseitigeres Leben zuzu-
billigen, als es noch heute vielfach geschieht39.
34 Wiegand, Die Porosarchitektur Taf. XIV, 1.
35 Quagliati, Ausonia; III 1908 S. 222 ff. Abb. 70—76 zur Deutung:
Eros und Psyche, Heid. Sitzber. S. 9ff. (vgl. Unteritalische Grabdenk-
mäler S. 129 und Arch. Anz., 1916, S. 103ff.) und Förster, Philologus
LXXV (N. F. XXIX) S. 146.
36 Schreiber, Alexandrinische Toreutik S. 428 (158) Abb. 123.
37 Pfuhl, Neue Jahrb. für das klass. Altertum XXIII, 1909, S. 615.
33 Brunn-Bruckmann, Taf. 680.
39 Hierfür ist weiter das bulgarische Wagen-Relief Arch. Anz. 1918
mit dem hohen Luftraum, S. 12 und 90, Abb. 13 und das griechisch-persische
 
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