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Pagenstecher, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 1. Abhandlung): Über das landschaftliche Relief bei den Griechen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37678#0038
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30

Rudolf Pagenstecher:

ist das alte Histonium offenbar einer cler wichtigeren Punkte an
der adriatischen Küste gewesen, zu dem hin regelmäßiger unter-
italischer Import gelangte; das nördlicher gelegene Ancona mag
der eigentliche Aufnahmepunkt für den künstlerischen Zustrom
aus den Gegenden des südöstlichen Italiens gewesen sein72. Die
Funde beginnen etwa mit dem Anfang des 3. Jahrhunderts. Man
bemerkt campanischen Import, daneben viel Apulisches an Terra-
kotten und Vasen, auch sicher tarentinisclie Erzeugnisse. Zu den
letzteren ist das in Rede stehende Relief am ehesten zu rechnen.
Campanisch ist es nach Ton und Arbeit nicht, ebensowenig ent-
hält es für das eigentliche Apulien charakteristische Züge, so daß
Canosa, Ruvo und Rari ausscheiden. Ob neben Tarent ein anderer
Ort des tarentinischen Golfes in Frage kommt, ist nicht zu ent-
scheiden. Lokrisch ist der Ton nicht. Man könnte etwa noch an
Metapont denken, dessen Kunsterzeugnisse jedoch von denen
Tarents prinzipiell kaum zu scheiden sind73.
Das Relief gibt uns — leider ist nur wenig erhalten —, ein
vollkommenes Idyll. Auf leicht angedeutetem Felsboden kniet
das Mädchen, eifrig damit beschäftigt, aus dem Euter der Ziege
die schäumende Milch in eine flache Schale strömen zu lassen.
Ob Landschaft angedeutet war, wissen wir nicht. Sicher ist, daß
hier — vielleicht zum erstenmal — eine rein bukolische Szene ge-
schildert wird, in welcher an die Stelle der Götterwelt der Mensch
getreten ist. Jener Wechsel hat sich vollzogen, der des Stesi-
ohoros Daphnis von dem Daphnis Theokrits scheidet74.
Man wird lange suchen können, ehe man dem Mädchenkopf
stilistisch vergleichbare Werke findet, und man wird zu einem
Resultat nicht kommen, wenn man sie auf helladischem oder ost-
griechischem Boden zu finden vermeint. Dagegen bieten taren-
tinische Terrakotten verhältnismäßig ausreichendes Material. Vor
allem möchte ich eine Tonform des Bareser Museums heranziehen,
von der mir dank dem Entgegenkommen der Museumsdirektion
schon seit acht Jahren ein Ausguß vorliegt, den ich an dieser Stelle
publiziere (Tafel II, nach dem Exemplar der Rostocker Archaeolo-
gischen Sammlung). Sie stammt aus Tarent und hat eine Höhe
von 13,9 cm. Dem Stil nach ist der Kopf reif archaisch, was in
Unteritalien nicht zu einer Ansetzung in die ersten Jahrzehnte des
72 Ebend. S. 149.
73 Unteritalische Grabdenkmäler S. 15 und 17.
74 Christ, Geschichte der griechischen Literatur, 4. Aufl., S. 546.
 
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