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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 11. Abhandlung): Der Kommunismus der Wiedertaeufer in Muenster und seine Quellen — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37688#0009
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Der Kommunismus der Wiedertäufer in Münster und seine Quellen. 9

Kampf um Münster gekämpft wurde“ (S. 286), so ist das eine
Auffassung, die in den Quellen keinen ausreichenden Anhalt hat1.
Der Bauernkrieg stellt sich trotz der steten und starken Be-
rufung auf das „göttliche Recht“ deutlich als das dar, was er war:
eine ökonomische Massenbewegung. Die Errichtung des Münster-
sehen Wiedertäuferreichs war der Gipfel einer religiösen Schwarm-
bewegung2. Freilich die sozialdemokratischen Elemente, die sich
schon 1525 gerührt hatten, dann zurückgedrängt waren, machten
sich nun immer lebhafter bemerkbar, ohne doch den Grundcharakter
zu verändern. Wie die Macht der Gilden mit der Freiheit des Evan-
geliums und der Herrschaft Rothmanns wuchs, so konnte es nicht
ausbleiben, daß die Predigt von der apostolischen Bruderliebe, die
alles gemein mache, mit den berechtigten und unberechtigten
Wünschen der Menge nach einer anderen Güterverteilung immer
mehr zusammenlief. Münster, mit seinem Apostel der Liebe schon
lange ein Anziehungspunkt für allerlei verwandte Geister am Nieder-
rhein und in Nordwest-Deutschland, wurde nun gewiß auch von
solchen aufgesucht, bei denen religiöse Sehnsucht und höchst
irdische Begehrlichkeit sich die Wage hielten3. Aber auch die
Holländer und Friesen, die nun ankamen und Anfang 1534 unter
1 Der Quellenbefund ist so klar, daß auch Kautsky ihn nicht leugnen
kann, aber er beseitigt ihn durch die Konstruktion, daß gerade je radikaler
und umfassender eine ökonomische Bewegung damals gewesen sei, sie
sich um so mehr in die zeitgemäßen religiös-mystischen und theologischen
Formen hätte kleiden müssen, da sich der ökonomische Kern bei
einer so allgemeinen Erscheinung der ungenügenden theoretischen Einsicht
entzogen habe (8. 286). So daß das Verschwinden von Motiven förmlich zum
Kennzeichen ihres eminenten Vorhandenseins und ihrer allbeherrschenden
Wirksamkeit gemacht wird! Mit solchem dialektischen Quidproquo kann
man freilich die Quellen auf den Kopf stellen und alles beweisen — dem
Dogma von der Priorität der wirtschaftlichen Fragen vor allem Geistigen
zuliebe.
2 Mit denselben Erscheinungen wie schon die erste der verwandten
Bewegungen, die Erwartung des himmlichen Jerusalem im klein asiatischen
Pepuza auf die Verkündigung des neuen Propheten Montanus hin, um 160:
Extase, Vision, Apokalyptik, Wirkung der johanneischen Literatur, Zusammen-
strömen der Gläubigen unter Lösung aus den sozialen Verhältnissen, strenges
Heiligungsstreben,' antiklerikale Stimmung.
3 Cornelius, Gesch. d. Münsterschen Aufruhrs II, 196, sieht in der
Niederlage des Rats im Aug./Sept. gewiß mit Recht einen Grund für die
steigende Unruhe und Autoritätslosigkeit des „gemeinen Mannes. — All das
Gesindel, welches begierig nach fremder Habe schaut, hob fröhlich sein
Angesicht“.
 
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