48
H. von Schubert:
ten Literatur überhaupt in dieser Richtung wirken mußte, bleibt
anzunehmen und ist schon aus der Neigung Francks ihn gerade
dort zu zitieren ersichtlich. Vielleicht, daß die Verdrängung des
Urstandsgedankens durch den anderen einer biblischen goldenen
Urzeit bis Nimrod, dem Vater derTyrannnis (Chrysost. hom. in Gen.
29, 8), die uns bei ihm begegnet, mit solchen humanistischen Ein-
flüssen zusammenhängt. Jedenfalls war damit auch an diesem
geschichtlichen Bilde eine Korrektur vorgenommen, die ihre Konse-
quenzen haben konnte, wie die der Auffassung von Act. 4. Wenn
es doch einmal, zweimal auf Erden Wirklichkeit gewesen war, warum
nicht ein drittes Mal ? Wenn Gottes Wille von neuem sich mächtig
offenbarte — vielleicht am Ende der Tage, wie am Anfang und
in deren Mitte, da sich die Weltgeschichte mit des Herren Geburt
in den Angeln drehte — durfte man ihm widerstehen ?
Die Apokalyptik, zu der wir damit kommen, war auch schon
im ausgehenden Mittelalter ein wichtiges Element in der Gesamt-
bewegung geworden: sie erst recht war geeignet menschliche
Schranken niederzulegen, denn wo der Geist Gottes unmittelbar
sprach, da war die Wahrheit, mochte Priester- oder Laienmund
das auserwählte Werkzeug sein und mochte die konventionelle
Anschauung sein, welche sie wollte. Da sie es aber ist, die uns direkt
in den Münsterschen Aufruhr hineinführt, behandeln wir sie in
diesem neuen Zusammenhang.
8.
Nach einer langen Wanderung, die eine Geschichte der Miß-
verständnisse und Unklarheiten, Irrtümer und Fälschungen ist,
waren unsere clementinischen Sätze in die Hände des einsamen
und doch so einflußreichen oberdeutschen Mystikers gekommen
und, von ihm bereichert und eingerahmt durch die verwandten
Gedanken alter und neuer Herkunft, ins Volk gebracht durch die
deutsche Geschichtsbibel, weitergelangt in die Hände des evange-
lischen Prädikanten in der erregten westfälischen Stadt. Sie wirkten
wie Zunder. Denn hier trat nun der apokalyptische Gedanke in
seiner schärfsten Ausprägung als gewaltiger Exponent hinzu: die
Apokalyptik und Münster sind nicht voneinander zu trennen.
Was wir bisher betrachtet, stammte — ein Erbgut des größten
Idealisten — aus einer Welt des Ideals. Man konnte es immer
wieder dahin zurückschieben. Auch die Chronika eines Mystikers
führten im Grunde nicht weiter. Denn die Mystik wrar eine quieti-
H. von Schubert:
ten Literatur überhaupt in dieser Richtung wirken mußte, bleibt
anzunehmen und ist schon aus der Neigung Francks ihn gerade
dort zu zitieren ersichtlich. Vielleicht, daß die Verdrängung des
Urstandsgedankens durch den anderen einer biblischen goldenen
Urzeit bis Nimrod, dem Vater derTyrannnis (Chrysost. hom. in Gen.
29, 8), die uns bei ihm begegnet, mit solchen humanistischen Ein-
flüssen zusammenhängt. Jedenfalls war damit auch an diesem
geschichtlichen Bilde eine Korrektur vorgenommen, die ihre Konse-
quenzen haben konnte, wie die der Auffassung von Act. 4. Wenn
es doch einmal, zweimal auf Erden Wirklichkeit gewesen war, warum
nicht ein drittes Mal ? Wenn Gottes Wille von neuem sich mächtig
offenbarte — vielleicht am Ende der Tage, wie am Anfang und
in deren Mitte, da sich die Weltgeschichte mit des Herren Geburt
in den Angeln drehte — durfte man ihm widerstehen ?
Die Apokalyptik, zu der wir damit kommen, war auch schon
im ausgehenden Mittelalter ein wichtiges Element in der Gesamt-
bewegung geworden: sie erst recht war geeignet menschliche
Schranken niederzulegen, denn wo der Geist Gottes unmittelbar
sprach, da war die Wahrheit, mochte Priester- oder Laienmund
das auserwählte Werkzeug sein und mochte die konventionelle
Anschauung sein, welche sie wollte. Da sie es aber ist, die uns direkt
in den Münsterschen Aufruhr hineinführt, behandeln wir sie in
diesem neuen Zusammenhang.
8.
Nach einer langen Wanderung, die eine Geschichte der Miß-
verständnisse und Unklarheiten, Irrtümer und Fälschungen ist,
waren unsere clementinischen Sätze in die Hände des einsamen
und doch so einflußreichen oberdeutschen Mystikers gekommen
und, von ihm bereichert und eingerahmt durch die verwandten
Gedanken alter und neuer Herkunft, ins Volk gebracht durch die
deutsche Geschichtsbibel, weitergelangt in die Hände des evange-
lischen Prädikanten in der erregten westfälischen Stadt. Sie wirkten
wie Zunder. Denn hier trat nun der apokalyptische Gedanke in
seiner schärfsten Ausprägung als gewaltiger Exponent hinzu: die
Apokalyptik und Münster sind nicht voneinander zu trennen.
Was wir bisher betrachtet, stammte — ein Erbgut des größten
Idealisten — aus einer Welt des Ideals. Man konnte es immer
wieder dahin zurückschieben. Auch die Chronika eines Mystikers
führten im Grunde nicht weiter. Denn die Mystik wrar eine quieti-