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R. Reitzen stein :
gegründet hat und ein Mahl rüstet. Sie hat ihre Mägde ausgesandt
und deren Ruf ergeht oben auf den Anhöhen der Stadt (wie die
Weisheit selbst 8, 1 ruft): „Kommt genießt von meiner Speise und
trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe. Laßt fahren, ihr
Einfältigen eure Torheit, so werdet ihr leben, und geht einher
auf dem Wege der Einsicht.“ Aber ihr gegenüber sitzt auch ein
anderes Weib auf einem Thron „auf den Anhöhen der Stadt“ und
ruft die Vorübergehenden: „Wer einfältig ist, kehre hier ein.“ Auch
sie verheißt also Weisheit, und auch sie bietet Speise und Trank:
„Gestohlenes Wasser ist süß, und heimliches Brot schmeckt lieb-
lich.“ Aber von ihrem Hause heißt es, daß die Schatten dort hausen
und die von ihr Geladenen sich in der Unterwelt Tiefen befinden.
Nicht um eine wirkliche Dirne oder Ehebrecherin kann es sich
handeln und ebensowenig um eine bloße Allegorie und poetische
Personifikation der Torheit. Es ist ja die alte Schilderung des
Boten, der die göttliche yvcoau; bringt; in der 33. Ode Salomos
tritt neben den Urmenschen die reine Jungfrau, die -ap9ivo<; tou
({>cot6c, und ruft von dem Berge die Menschenkinder, und Sprüche
8, 4ff. bieten das volle Gegenbild. Die beiden entsprechenden
Predigten in dem Hermetischen Corpus (I 27 — 29 und VII).habe
ich Gotting, gel. Anz. 1911 S. 554ff. analysiert, die orientalischen
und griechischen Bestandteile in ihnen gesondert und die Ver-
breitung dieser Art Büßpredigt durch Properz IV 1 und die von
Celsus charakterisierte Predigt der syrischen Bettelpropheten (Ori-
genes Contra (Als. VII8) belegt. Auch die Johannes-Botschaft der
EvangelienqueUeQ gehört zu diesemTypus. Es ist bezeichnend, daß
das kleine Corpus von Reden und Schilderungen, das wir nun in
dem Einleitungsteil der Sprüche Salomos ohne weiteres aussondern,
mit der Ankündigung des nahenden Unheils beginnt, vor dem die
Weisheit retten will (1, 20 ff.), und die orientalische Selbstvorstel-
lung der Botin (8, 22—36) enthält. Ihr Gegenbild heißt bei der
ersten Einführung (2, 16) das fremde Weib, die Auswärtige,
die den Freund ihrer Jugend im Stich gelassen und den von Gott
verordneten Bund vergessen hat; zum Tode sinkt ihr Haus herab
und zu den Schatten führen ihre Bahnen; alle, die zu ihr eingehen,
kehren nicht wieder und erreichen nicht des Lebens Pfade.
Vergeblich müht man sich, das auf eine fremde Prostituierte oder
Ehebrecherin zu deuten. Es ist die von außenher gekommene
Weisheit, von Stämmen, die nach des Redenden Ansicht einst Jahve
verehrten, aber nun von ihm abgefallen sind und auch die treu-
R. Reitzen stein :
gegründet hat und ein Mahl rüstet. Sie hat ihre Mägde ausgesandt
und deren Ruf ergeht oben auf den Anhöhen der Stadt (wie die
Weisheit selbst 8, 1 ruft): „Kommt genießt von meiner Speise und
trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe. Laßt fahren, ihr
Einfältigen eure Torheit, so werdet ihr leben, und geht einher
auf dem Wege der Einsicht.“ Aber ihr gegenüber sitzt auch ein
anderes Weib auf einem Thron „auf den Anhöhen der Stadt“ und
ruft die Vorübergehenden: „Wer einfältig ist, kehre hier ein.“ Auch
sie verheißt also Weisheit, und auch sie bietet Speise und Trank:
„Gestohlenes Wasser ist süß, und heimliches Brot schmeckt lieb-
lich.“ Aber von ihrem Hause heißt es, daß die Schatten dort hausen
und die von ihr Geladenen sich in der Unterwelt Tiefen befinden.
Nicht um eine wirkliche Dirne oder Ehebrecherin kann es sich
handeln und ebensowenig um eine bloße Allegorie und poetische
Personifikation der Torheit. Es ist ja die alte Schilderung des
Boten, der die göttliche yvcoau; bringt; in der 33. Ode Salomos
tritt neben den Urmenschen die reine Jungfrau, die -ap9ivo<; tou
({>cot6c, und ruft von dem Berge die Menschenkinder, und Sprüche
8, 4ff. bieten das volle Gegenbild. Die beiden entsprechenden
Predigten in dem Hermetischen Corpus (I 27 — 29 und VII).habe
ich Gotting, gel. Anz. 1911 S. 554ff. analysiert, die orientalischen
und griechischen Bestandteile in ihnen gesondert und die Ver-
breitung dieser Art Büßpredigt durch Properz IV 1 und die von
Celsus charakterisierte Predigt der syrischen Bettelpropheten (Ori-
genes Contra (Als. VII8) belegt. Auch die Johannes-Botschaft der
EvangelienqueUeQ gehört zu diesemTypus. Es ist bezeichnend, daß
das kleine Corpus von Reden und Schilderungen, das wir nun in
dem Einleitungsteil der Sprüche Salomos ohne weiteres aussondern,
mit der Ankündigung des nahenden Unheils beginnt, vor dem die
Weisheit retten will (1, 20 ff.), und die orientalische Selbstvorstel-
lung der Botin (8, 22—36) enthält. Ihr Gegenbild heißt bei der
ersten Einführung (2, 16) das fremde Weib, die Auswärtige,
die den Freund ihrer Jugend im Stich gelassen und den von Gott
verordneten Bund vergessen hat; zum Tode sinkt ihr Haus herab
und zu den Schatten führen ihre Bahnen; alle, die zu ihr eingehen,
kehren nicht wieder und erreichen nicht des Lebens Pfade.
Vergeblich müht man sich, das auf eine fremde Prostituierte oder
Ehebrecherin zu deuten. Es ist die von außenher gekommene
Weisheit, von Stämmen, die nach des Redenden Ansicht einst Jahve
verehrten, aber nun von ihm abgefallen sind und auch die treu-