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R. Reitzenstein:
Grund Vorstellung nicht annehmen; er deutet das Leben ratio-
nalistisch nur auf das Diesseits. Jene falsche Weisheit, die er mit
glühendem Haß bekämpft, wird ihm zur Dämonin, der Verderberin
der Menschheit, freilich nur für das diesseitige Leben. Der Klang
der alten Prophetie wird gedämpft durch die Nüchternheit der
Spruchweisheit, die dann den Einschub auch solcher Stücke er-
leichtert, die der ursprünglichen Idee dieser Einleitung fern lagen.
Sie beeinflußt die Schilderung der Dämonin, die ursprünglich ein
mythologisches Vorbild gehabt haben mag; man könnte wohl an
Gahi, den persischen Dämon der Unzucht, erinnern, der sich mit
Ahriman gegen den Urmenschen verbündet, doch wäre das zweck-
loses Raten. Auch in der mandäischen Literatur verraten ver-
schiedene Dämonennamen, daß die an sich farblose Bezeichnung
Rühä erst nachträglich für ein ursprünglich mythologisches Wesen
aufgekommen ist, das ebensowohl babylonischer Herkunft sein
kann, sicher wenigstens babylonische Züge angenommen hat1.
Wichtig ist der Einblick, der sich uns in die religiösen Kämpfe
benachbarter Stämme und in ihre literarische Auswirkung er-
schließt2. Aus ihr erklärt sich ungezwungen der Name Rühä.
Als das Sirachbuch, die Gedankenreihe der Sprüche Salomos
fortführend geschildert hatte, wie die Weisheit, die anfänglich im
Himmel thronte, unter den Menschen und unter einem bestimmten
Volke wohnen wollte und Gott ihr Israel und Jerusalem zur
Wohnung und zum besonderen Eigentum anwies, konnte nachbar-
licher wilder Haß unter Einfluß derselben iranischen Ideen die
Rollen vertauschend weiterdichten: diejenige Weisheit, die über
Jerusalem herrscht, ist die Dämonin, Israel das Volk der Buhlerei,
die sieben Säulen sind die Planeten, die Feinde der Menschheit,
ihnen gilt also der jüdische Kult, und jenes Ttveupa vospov, ayiov,
povoysve<;, TroXupspep, das die Weisheit Salomos (7, 22), das am
stärksten hellenisierte Stück, in Worten schildert, die einem alten
Israeliten unmöglich, ja selbst in hebräischer Sprache unausdrück-
1 Als Herrin des Südens, wo die Finsternis an das Lichtreich grenzt,
ist sie Namrus (Bousset, Hauptprobleme der Gnosis S. 28), doch begegnen
auch andere Namen, wie Genzä 1. III 27 p. 108 Daium.
2 Ganz ähnlich werden bei den Persern die babylonischen Gottheiten
zu Dämonen; als Anti-Mithras scheint Marduk weiter zu leben und in dieser
Umgestaltung für den Anti-Messias das Vorbild zu geben. Die Gestalten von
Weisheit und Gegenweisheit wurzeln in der gleichen Denkart. Verblaßte
Nachwirkung ist der paulinische Gedanke, daß die Weisheit der Welt Torheit
vor Gott ist.
R. Reitzenstein:
Grund Vorstellung nicht annehmen; er deutet das Leben ratio-
nalistisch nur auf das Diesseits. Jene falsche Weisheit, die er mit
glühendem Haß bekämpft, wird ihm zur Dämonin, der Verderberin
der Menschheit, freilich nur für das diesseitige Leben. Der Klang
der alten Prophetie wird gedämpft durch die Nüchternheit der
Spruchweisheit, die dann den Einschub auch solcher Stücke er-
leichtert, die der ursprünglichen Idee dieser Einleitung fern lagen.
Sie beeinflußt die Schilderung der Dämonin, die ursprünglich ein
mythologisches Vorbild gehabt haben mag; man könnte wohl an
Gahi, den persischen Dämon der Unzucht, erinnern, der sich mit
Ahriman gegen den Urmenschen verbündet, doch wäre das zweck-
loses Raten. Auch in der mandäischen Literatur verraten ver-
schiedene Dämonennamen, daß die an sich farblose Bezeichnung
Rühä erst nachträglich für ein ursprünglich mythologisches Wesen
aufgekommen ist, das ebensowohl babylonischer Herkunft sein
kann, sicher wenigstens babylonische Züge angenommen hat1.
Wichtig ist der Einblick, der sich uns in die religiösen Kämpfe
benachbarter Stämme und in ihre literarische Auswirkung er-
schließt2. Aus ihr erklärt sich ungezwungen der Name Rühä.
Als das Sirachbuch, die Gedankenreihe der Sprüche Salomos
fortführend geschildert hatte, wie die Weisheit, die anfänglich im
Himmel thronte, unter den Menschen und unter einem bestimmten
Volke wohnen wollte und Gott ihr Israel und Jerusalem zur
Wohnung und zum besonderen Eigentum anwies, konnte nachbar-
licher wilder Haß unter Einfluß derselben iranischen Ideen die
Rollen vertauschend weiterdichten: diejenige Weisheit, die über
Jerusalem herrscht, ist die Dämonin, Israel das Volk der Buhlerei,
die sieben Säulen sind die Planeten, die Feinde der Menschheit,
ihnen gilt also der jüdische Kult, und jenes Ttveupa vospov, ayiov,
povoysve<;, TroXupspep, das die Weisheit Salomos (7, 22), das am
stärksten hellenisierte Stück, in Worten schildert, die einem alten
Israeliten unmöglich, ja selbst in hebräischer Sprache unausdrück-
1 Als Herrin des Südens, wo die Finsternis an das Lichtreich grenzt,
ist sie Namrus (Bousset, Hauptprobleme der Gnosis S. 28), doch begegnen
auch andere Namen, wie Genzä 1. III 27 p. 108 Daium.
2 Ganz ähnlich werden bei den Persern die babylonischen Gottheiten
zu Dämonen; als Anti-Mithras scheint Marduk weiter zu leben und in dieser
Umgestaltung für den Anti-Messias das Vorbild zu geben. Die Gestalten von
Weisheit und Gegenweisheit wurzeln in der gleichen Denkart. Verblaßte
Nachwirkung ist der paulinische Gedanke, daß die Weisheit der Welt Torheit
vor Gott ist.