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R. Reitzen stein :
dazu, ihn zu kreuzigen. Ganz nahe stehen sich offenbar in dieser
Vorstellung Mandäer und Juden; der falsche Messias ist der Ein-
dringling; wenn er sich als den Erlöser und Erwecker von den
Toten bezeichnen will, so sagt er seinen (jüdischen) Anhängern:
,,Ich bin Anös, der Nasoräer.“ Das ist die völlige Umkehrung der
früheren Anschauung; die Mandäer sind hier die echten, frommen
Juden. Friedlich müssen im Euphratlande Mandäer und Juden
zusammen gewohnt haben; die dort gefundenen Zauberschalen
zeigen ja auch, daß beide sich einander angeglichen haben1; die
alten Gegensätze und Parteikämpfe sind offenbar vergessen. Es
paßt zu diesem Bilde, daß Lehrstücke, die sicher am Ufer des
Euphrat geschrieben sind wie Genzä r. II 4 (Brandt S. 119ff.),
denselben leidenschaftlichen Gegensatz gegen die Askese zeigen.
Als Hauptgebot verkündet der erste Gesandte Ehe und Kinder-
erzeugung; die Männer, die nicht Weiber suchen, und die Weiber,
die nicht Männer suchen, verfallen dereinst dem Gewölk der
Finsternis, der Hölle; sie folgen damit der Lehre der Lügenpro-
pheten, der falschen Richter.
Ob mit der Existenz einer derartigen Religionsgemeinschaft
eine unter den christlichen Mönchen verbreitete Sage2 zusammen-
hängt, jenseits des Euphrat lebe der Stamm der wahrhaft from-
men Juden, entweder der Rechabiten oder der verschollenen
Stämme Israels, in Reinheit, gottwohlgefälliger Ehe und stetem
Verkehr mit den Engeln ? Manche Einzelheit spräche dafür,
doch müßten sich freilich früh phantastische Züge der Mönchs-
no vellistik und der erbaulichen Fabeln vom ,,Lande der Seligen“
eingemischt haben. Trifft die Vermutung zu, so müßten die christ-
lichen Besucher die Sittenstrenge und tiefe Religiosität der Man-
däer mit Anerkennung beobachtet und eine Verwandtschaft mit
der eigenen Religion empfunden und hervorgehoben haben. Das
würde noch etwas zu dem Verhältnis stimmen, das sich aus der
mandäischen Darstellung aus dem Ende des vierten Jahrhunderts
(siehe oben S. 14) erraten läßt: die Christen bezeichnen sich als
nahe verwandt, ja eigentlich als Verehrer desselben göttlichen
1 Vgl. den Bericht von James A. Montgomery, Aramaic Incantation
Texts from Nippur, Philadelphia 1913. Hieraus erklären sich die zahlreichen
Cbereinstimmungen mit der jüngeren jüdischen Legende.
2 Vgl. die Air)Yr)Gic, Zcoal[xou eiq xov ßlov töv paxapcov, Robinson
Texts and Studies II 3, 86ff., vgl. Historia Monachorum und Historia Lauswca
S. 181, 1.
R. Reitzen stein :
dazu, ihn zu kreuzigen. Ganz nahe stehen sich offenbar in dieser
Vorstellung Mandäer und Juden; der falsche Messias ist der Ein-
dringling; wenn er sich als den Erlöser und Erwecker von den
Toten bezeichnen will, so sagt er seinen (jüdischen) Anhängern:
,,Ich bin Anös, der Nasoräer.“ Das ist die völlige Umkehrung der
früheren Anschauung; die Mandäer sind hier die echten, frommen
Juden. Friedlich müssen im Euphratlande Mandäer und Juden
zusammen gewohnt haben; die dort gefundenen Zauberschalen
zeigen ja auch, daß beide sich einander angeglichen haben1; die
alten Gegensätze und Parteikämpfe sind offenbar vergessen. Es
paßt zu diesem Bilde, daß Lehrstücke, die sicher am Ufer des
Euphrat geschrieben sind wie Genzä r. II 4 (Brandt S. 119ff.),
denselben leidenschaftlichen Gegensatz gegen die Askese zeigen.
Als Hauptgebot verkündet der erste Gesandte Ehe und Kinder-
erzeugung; die Männer, die nicht Weiber suchen, und die Weiber,
die nicht Männer suchen, verfallen dereinst dem Gewölk der
Finsternis, der Hölle; sie folgen damit der Lehre der Lügenpro-
pheten, der falschen Richter.
Ob mit der Existenz einer derartigen Religionsgemeinschaft
eine unter den christlichen Mönchen verbreitete Sage2 zusammen-
hängt, jenseits des Euphrat lebe der Stamm der wahrhaft from-
men Juden, entweder der Rechabiten oder der verschollenen
Stämme Israels, in Reinheit, gottwohlgefälliger Ehe und stetem
Verkehr mit den Engeln ? Manche Einzelheit spräche dafür,
doch müßten sich freilich früh phantastische Züge der Mönchs-
no vellistik und der erbaulichen Fabeln vom ,,Lande der Seligen“
eingemischt haben. Trifft die Vermutung zu, so müßten die christ-
lichen Besucher die Sittenstrenge und tiefe Religiosität der Man-
däer mit Anerkennung beobachtet und eine Verwandtschaft mit
der eigenen Religion empfunden und hervorgehoben haben. Das
würde noch etwas zu dem Verhältnis stimmen, das sich aus der
mandäischen Darstellung aus dem Ende des vierten Jahrhunderts
(siehe oben S. 14) erraten läßt: die Christen bezeichnen sich als
nahe verwandt, ja eigentlich als Verehrer desselben göttlichen
1 Vgl. den Bericht von James A. Montgomery, Aramaic Incantation
Texts from Nippur, Philadelphia 1913. Hieraus erklären sich die zahlreichen
Cbereinstimmungen mit der jüngeren jüdischen Legende.
2 Vgl. die Air)Yr)Gic, Zcoal[xou eiq xov ßlov töv paxapcov, Robinson
Texts and Studies II 3, 86ff., vgl. Historia Monachorum und Historia Lauswca
S. 181, 1.