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R. Reitzenstein:
Wir können noch erklären, warum in dem Text des Genzä
r. V 4 Mandä d’Haije für ihn eingesetzt ist, und können dabei
die Entstehung des wunderlichen Werkes näher erkennen. Auf-
fällig ist, daß im Schluß Jöhänä einmal ganz verschwindet und nur
Mandä d’Haije übrigbleibt, er bietet seine Himmelfahrt (S. 206, 20
bis 207, 18). Das Rätsel läßt sich lösen, wenn wir das unmittelbar
vorausgehende Stück V 3, über das Brandt, Mand. Schriften 192
und Jahrb. /. protest. Theologie XVI11 410 ff. leider nur kurze
und z. T. irreführende Mitteilungen macht, hinzunehmen. Das
Stück gibt sich als selbständiges Buch, beginnt mit den Worten
„Mein Maß in derWelt wurde mir voll“ (Beginn zahlreicher Himmel-
fahrtstexte, also später Totentexte) und trägt die Subskription
„Dies ist das Buch: Mein Maß in der Welt wurde mir voll.“ In
erster Person spricht „der Mann von erprobter Frömmigkeit“, der
(vom Himmel in die Welt) an den Ort der gierigen, tollwütigen Hunde
gekommen ist, deren Augen geblendet sind, daß sie nicht sehen,
und deren Ohren verstopft sind, daß sie nicht hören können1. Er
predigt ihnen und spricht von dem Leben, aber sie verstehen ihn
nicht, von dem Tode, aber sie verstehen ihn auch nicht2. Er gerät
in Angst und Zittern, wie immer in diesen Texten der zur Erde
gekommene Gott, da ruft ein Mann ihm aus dem Ort jenseits
der Welt, er, der zum Leben rufe und dem das Leben antworte3,
solle nur Vertrauen haben. Er gleiche einem Mann von 120 Jahren4,
einem Hirten5, der vor seiner Herde nergehe; plötzlich werde man
ihn ergreifen, mit dem Ehrenkleid und der Krone schmücken und
zum König machen. Es ist in verhülltem Wort die in dep Toten-
texten übliche Botschaft des Helfers an den auf Erden weilenden Gott.
Er kehrt dann heim und sagt in dem ersten Strafort, dem Ort der
Jungfrau, die nicht Jungfrau ist (der Rühä), er wolle alle Gläu-
1 Allerdings erscheint durch ein Mißverständnis des Bearbeiters dieser
Ort jetzt schon als erste Wachtstation (Strafort) nach der Welt der Finsternis.
2 Es ist die übliche Beschreibung der Botschaft des „Gesandten“ an
die Menschen, vgl. oben S. 60.
3 Ruf und Antwort, die bei den Manichäern selbst Gottwesen geworden
sind, verbinden den Gott Mensch (und die Menschen überhaupt) mit dem
Urgott; wem beide verliehen sind, ist der Himmelfahrt sicher.
4 Grenze der menschlichen Lebensdauer; danach tritt die Vergottung
ein. So heißt es im Grunde nur: „dein Maß ist voll.“ Ähnlich wird in dem
Berliner Turfan-Fragment M 5 von Mani bei seinem Tode gesagt, er sei 110
Jahre alt; auch dies ist nur Ausdruck für das volle Maß.
5 Als Hirt erscheint Mandä d’Haije auch in den wichtigen Texten des
Johannesbuches cap. 11. 12 und im Genzä 1. I 2 p. 10 Adam.
R. Reitzenstein:
Wir können noch erklären, warum in dem Text des Genzä
r. V 4 Mandä d’Haije für ihn eingesetzt ist, und können dabei
die Entstehung des wunderlichen Werkes näher erkennen. Auf-
fällig ist, daß im Schluß Jöhänä einmal ganz verschwindet und nur
Mandä d’Haije übrigbleibt, er bietet seine Himmelfahrt (S. 206, 20
bis 207, 18). Das Rätsel läßt sich lösen, wenn wir das unmittelbar
vorausgehende Stück V 3, über das Brandt, Mand. Schriften 192
und Jahrb. /. protest. Theologie XVI11 410 ff. leider nur kurze
und z. T. irreführende Mitteilungen macht, hinzunehmen. Das
Stück gibt sich als selbständiges Buch, beginnt mit den Worten
„Mein Maß in derWelt wurde mir voll“ (Beginn zahlreicher Himmel-
fahrtstexte, also später Totentexte) und trägt die Subskription
„Dies ist das Buch: Mein Maß in der Welt wurde mir voll.“ In
erster Person spricht „der Mann von erprobter Frömmigkeit“, der
(vom Himmel in die Welt) an den Ort der gierigen, tollwütigen Hunde
gekommen ist, deren Augen geblendet sind, daß sie nicht sehen,
und deren Ohren verstopft sind, daß sie nicht hören können1. Er
predigt ihnen und spricht von dem Leben, aber sie verstehen ihn
nicht, von dem Tode, aber sie verstehen ihn auch nicht2. Er gerät
in Angst und Zittern, wie immer in diesen Texten der zur Erde
gekommene Gott, da ruft ein Mann ihm aus dem Ort jenseits
der Welt, er, der zum Leben rufe und dem das Leben antworte3,
solle nur Vertrauen haben. Er gleiche einem Mann von 120 Jahren4,
einem Hirten5, der vor seiner Herde nergehe; plötzlich werde man
ihn ergreifen, mit dem Ehrenkleid und der Krone schmücken und
zum König machen. Es ist in verhülltem Wort die in dep Toten-
texten übliche Botschaft des Helfers an den auf Erden weilenden Gott.
Er kehrt dann heim und sagt in dem ersten Strafort, dem Ort der
Jungfrau, die nicht Jungfrau ist (der Rühä), er wolle alle Gläu-
1 Allerdings erscheint durch ein Mißverständnis des Bearbeiters dieser
Ort jetzt schon als erste Wachtstation (Strafort) nach der Welt der Finsternis.
2 Es ist die übliche Beschreibung der Botschaft des „Gesandten“ an
die Menschen, vgl. oben S. 60.
3 Ruf und Antwort, die bei den Manichäern selbst Gottwesen geworden
sind, verbinden den Gott Mensch (und die Menschen überhaupt) mit dem
Urgott; wem beide verliehen sind, ist der Himmelfahrt sicher.
4 Grenze der menschlichen Lebensdauer; danach tritt die Vergottung
ein. So heißt es im Grunde nur: „dein Maß ist voll.“ Ähnlich wird in dem
Berliner Turfan-Fragment M 5 von Mani bei seinem Tode gesagt, er sei 110
Jahre alt; auch dies ist nur Ausdruck für das volle Maß.
5 Als Hirt erscheint Mandä d’Haije auch in den wichtigen Texten des
Johannesbuches cap. 11. 12 und im Genzä 1. I 2 p. 10 Adam.