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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0022
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ConstanτίΝ Ritter:

was ihm brauchbar dünkt, teils selber in kühnem Ahnen vieles
vom Besten vorausnimmt, was in späteren Jahrhunderten erst zu
allgemeinerer Überzeugung geworden ist. Da die Kenntnis sämt-
licher Eigenschaften eines Dings uns nur durch die Bewegungen
beide ihm wirklich nur Anregungen geben konnten, und daß Platon
diese in sehr selbständiger Verarbeitung und Vervollkommnung zu
seiner geschlossenen Theorie entwickelt hat. Demokritos verdankt jedenfalls
seinem älteren Mitbürger Protagoras auch starke Anregungen und wird sie
in seiner Weise ebenfalls selbständig verwertet haben. Ob Platon, als er den
Theaitetos schrieb (im Jahre 369), der seine fertige Wahrnehmungstheorie
enthält, von Demokritos irgendwie Näheres wußte, ist uns unbekannt und
wird schwerlich sicher zu stellen sein. Windelband, Gesch. d. antik. Philos.3
S. 121 kommt zu dem Schlüsse, daß „auf alle Fälle . .. der Atomismus
in dem attischen Bildungskreise ohne jeden Erfolg gewesen ist“, und findet
darin den Grund für die höchst „auffallende Tatsache“, daß Platon die natur-
wissenschaftlichen Arbeiten Demokrits vollständig unbeachtet gelassen habe.
Die von Ingeb. Hammer-Jensen im Archivf. G. d. Ph. 1910 über „Demokrit
und Platon“ veröffentlichte Abhandlung scheint mir trotz der warmen Lob-
sprüche, die ihr von gewisser Seite gespendet worden sind, ganz mangelhaft
und verwirrt. — Daß Platon von den Pythagoreern viel weniger abhängig
ist, als man sich durch die späteren Berichte hat einreden lassen, hat Eva
Sachs in ihrer Abhandlung über die fünf platonischen Körper (Philol. Unters,
hersg. v. Kiessling u. Wilamowitz, H. 24, 1917) trefflich nachgewiesen.
Wenn Platon nun doch seine naturwissenschaftlichen Lehren teils — im
Theaitetos — aus einer erkenntnistheoretischen Schrift des Protagoras ab-
leitet, teils dem Pythagoreer Timaios in den Mund legt (wozu die enge Be-
rührung seiner Elementarlehre mit Fragmenten des Philolaos stimmt; freilich,
ob diese echt sind, mag man mit Döring, G. d. gr. Phil. I 183, bezweifeln),
auch nicht versäumt (im Phaidros) den Hippokrates rühmend anzuführen (von
dem ja wieder auch Demokritos viel gelernt zu haben scheint), damit uns
kein Zweifel darüber bleibe, woher seine anatomischen und medizinischen
Kenntnisse stammen, so scheint mir all das schwer in die Wagschale zu fallen
gegen die Annahme seiner Abhängigkeit von Demokritos. Bezugnahme
Platons auf diesen ist nur an zwei Stellen recht wahrscheinlich, nämlich
Phileb. 29 a und Tim. 55 c. Der δεινός άνήρ dort, der mit der Behauptung
auftritt, daß die Welt mit all ihrer wunderbaren Ordnung ein Werk des
blinden Zufalls sei, kann ja wohl kaum ein anderer sein als Demokritos (ob-
wohl sonst Bezeichnungen wie δεινός oder σοφός oder κομψός άνήρ den
sophistischen WTanderrednern Vorbehalten sind); und wieder die Annahme
von unendlich vielen nebeneinander bestehenden Welten ist Demokritos
eigentümlich. Daß sie im Timaios einfach kurz abgewiesen wird, kann nicht
befremden. Denn wie sollten die verschiedenen Weltsysteme zu einander
beziehungslos sein? Wenn aber Beziehungen zwischen ihnen bestehen, dann
bilden sie miteinander die höhere Einheit eines Ganzen. Befremdlich dagegen
ist, daß Platon sich einen Augenblick ernstlich bei dem Gedanken aufhält,
ob vielleicht (den regelmäßigen fünf Körpern entsprechend?) fünf Welten
nebeneinander bestehen könnten.
 
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