Metadaten

Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0031
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft.

31

durch logische und mathematische Erwägungen stützen läßt;
dagegen wo solche Erwägungen sich gegen den sinnlichen
Eindruck kehren, von ihrer Sicherheit überzeugt ihn zu
berichtigen sucht. So wird es ja jeder Theoretiker machen1. Die
Theorie geht über das Anschauliche der Erfahrung hinaus und
bildet Begriffe, deren Inhalt gar nicht anschaulich sein will. Aber
sie wird ausgedacht nur um der anschaulichen Erfahrung willen:
weil diese, so wie sie unmittelbar wahrgenommen wird, Rätsel
auf gibt und Erklärung fordert. Wenn z. B. von zwei Physikern
der eine den Satz aufstellt, daß das Licht in Ätherschwingungen,
der andere, daß es in ausgeschleuderter Materie bestehe, so will
damit jeder das Wesen der Sache angeben, aus dem die einzelnen
beobachteten Tatsachen sich sollen ableiten lassen; oder wenn
Thaies das Wasser, Anaximenes die Luft für den Grund- oder
Lirstoff erklären, so wollen sie damit behaupten, daß Wasser oder
Luft wirklich in sämtlichen Bestandteilen aller tatsächlich gegebe-
nen stofflichen Gebilde vorhanden sei, und daß sie Umformungen
erlitten haben, die sie ihrem Wesen gemäß erleiden mußten. Wenn
Platon die räumliche Gestalt und Größe der einzelnen Bestandteile
eines Körpers als das Wesentliche an ihm behandelt und als die
vornehmste Ursache der Eigenschaften, durch die er sich uns
kundgibt und von anderen sich uns darbietenden unterscheidet,
so ist seine Meinung wieder, daß aus der verschiedenen Gestaltung
des raumerfüllenden Stoffes verschiedene Bewegungen sich mit
folgerichtiger Notwendigkeit ergeben, und daß eben diese Bewe-
gungen eine je nach ihrer Eigenart bestimmte Bewegung
auf sie Eingerichteter Sinnesorgane veranlassen, die ihrer-
seits wieder das Hervortreten ganz bestimmter Eigenschaften in
der Wahrnehmung bedingt. An einen Erfahrungsbeweis freilich
für die Richtigkeit dieser Auffassung konnte von vornherein gar
nicht gedacht werden, weil ja die Körperchen, aus denen ein sinn-
lich wahrnehmbarer Gegenstand sich zusammensetzt, so klein an-
genommen werden, daß ihre Gestalt von uns niemals sinnlich er-
kannt werden möchte. Trotzdem die ganze Annahme, die ganze
Theorie fußt auf der Beobachtung sinnlich wahrgenommener Vor-
gänge. Sie sind die untersten der ,,Stufen“2, über die aufsteigencl
der Begriffe bildende Geist sich ins Gebiet des Abstrakten erhoben
hat; und aus dem abstrakten Begriff, der das Allgemeine sämt-
licher Finzelfälle enthält, sind dann Folgerungen entwickelt, die
1 S. Nachtrag. 2 Pol. 511b, vgl. Symp. 211c.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften