Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft,
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eines anderen bestimmten Verhältnisses erfassen.“ Im besten Fall
könne doch das Sinnliche nur Gegenstand richtiger Vorstellung,
niemals aber des sicheren Erkennens und Wissens sein1.
Ich halte es für sehr wichtig, daß wir uns darüber Rechen-
schaft geben, ob wir dieser Überzeugung Platons zustimmen
können. Die Meinungen über diesen Punkt sind noch heute geteilt.
Es gibt unter Physikern und Mathematikern manchen, der alles
Apriorische in der Mathematik leugnet und alle Wahrheiten auf
das Zeugnis unserer Sinne gründen will. Unter den Philosophen
hat besonders J. Stuart Mill diesen schlechtweg empiristischen
Standpunkt vertreten. Dem entgegen spricht sich z. B. Rosen-
berger in seiner Geschichte der Physik2 folgendermaßen aus:
,,Auch die reine Experimentierkunst ist für sich allein eines wirk-
lichen Fortschritts nicht fähig. Die Spekulation über den augen-
blicklichen Stand der Erfahrung hinaus wird immer der Beobach-
tung die Wege zeigen und den Plan machen müssen, und eine
Wissenschaft von den Naturerscheinungen wird immer in den
Bestimmungen der Größenverhältnisse derselben von der Mathema-
tik abhängig bleiben. Das Ideal der Physik hegt in der Vereinigung
von Beobachtungskunst, Mathematik und Philosophie.“ Daß
Zählen, Messen, Wägen die sichern Grundlagen für die natur-
wissenschaftliche Theorie schaffen müsse, war freilich die feste
Überzeugung, die allein den Begründern der Naturwissenschaften
die ausdauernde Kraft gab zu all den peinlichen Einzelforschungen,
die sie getrieben haben. Aber was sie durch ihre unermüdlichen
Beobachtungen zutage gefördert haben, das wäre doch nur ein
Wust und eine schwindelerregende Menge von Zahlen, wenn nicht
ihr Geist die Unebenheiten auszugleichen gewagt und mit kühnem
Ahnen das Gesetz gesucht hätte, dessen angenommene Geltung
eben nicht die empirisch ermittelten, sondern nur ihnen ähnliche,
aber einfachere, durchsichtige Zahlenverhältnisse bedingt. Niemals
wäre Galilei durch Zählen und Messen allein zu den Formeln ge-
langt, in denen sich die Fallgesetze beschreiben lassen, noch hätte
Kepler aus den von ihm gemessenen Punkten, an denen er die
Planeten beobachtet hatte, durch bloße Verbindungslinien eine
genau elliptische Bahnzeichnung hersteilen können3. Die Empiriker
1 Pol. 529 d f.
2 Rosenberger, Geschichte der Physik I, 147.
3 Vgl. P. Natorp, Platos Ideenlehre S. 206: „Es ist so richtig von den
Gesetzen Newtons, wie es richtig war von den Konstruktionen des Eudoxus
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eines anderen bestimmten Verhältnisses erfassen.“ Im besten Fall
könne doch das Sinnliche nur Gegenstand richtiger Vorstellung,
niemals aber des sicheren Erkennens und Wissens sein1.
Ich halte es für sehr wichtig, daß wir uns darüber Rechen-
schaft geben, ob wir dieser Überzeugung Platons zustimmen
können. Die Meinungen über diesen Punkt sind noch heute geteilt.
Es gibt unter Physikern und Mathematikern manchen, der alles
Apriorische in der Mathematik leugnet und alle Wahrheiten auf
das Zeugnis unserer Sinne gründen will. Unter den Philosophen
hat besonders J. Stuart Mill diesen schlechtweg empiristischen
Standpunkt vertreten. Dem entgegen spricht sich z. B. Rosen-
berger in seiner Geschichte der Physik2 folgendermaßen aus:
,,Auch die reine Experimentierkunst ist für sich allein eines wirk-
lichen Fortschritts nicht fähig. Die Spekulation über den augen-
blicklichen Stand der Erfahrung hinaus wird immer der Beobach-
tung die Wege zeigen und den Plan machen müssen, und eine
Wissenschaft von den Naturerscheinungen wird immer in den
Bestimmungen der Größenverhältnisse derselben von der Mathema-
tik abhängig bleiben. Das Ideal der Physik hegt in der Vereinigung
von Beobachtungskunst, Mathematik und Philosophie.“ Daß
Zählen, Messen, Wägen die sichern Grundlagen für die natur-
wissenschaftliche Theorie schaffen müsse, war freilich die feste
Überzeugung, die allein den Begründern der Naturwissenschaften
die ausdauernde Kraft gab zu all den peinlichen Einzelforschungen,
die sie getrieben haben. Aber was sie durch ihre unermüdlichen
Beobachtungen zutage gefördert haben, das wäre doch nur ein
Wust und eine schwindelerregende Menge von Zahlen, wenn nicht
ihr Geist die Unebenheiten auszugleichen gewagt und mit kühnem
Ahnen das Gesetz gesucht hätte, dessen angenommene Geltung
eben nicht die empirisch ermittelten, sondern nur ihnen ähnliche,
aber einfachere, durchsichtige Zahlenverhältnisse bedingt. Niemals
wäre Galilei durch Zählen und Messen allein zu den Formeln ge-
langt, in denen sich die Fallgesetze beschreiben lassen, noch hätte
Kepler aus den von ihm gemessenen Punkten, an denen er die
Planeten beobachtet hatte, durch bloße Verbindungslinien eine
genau elliptische Bahnzeichnung hersteilen können3. Die Empiriker
1 Pol. 529 d f.
2 Rosenberger, Geschichte der Physik I, 147.
3 Vgl. P. Natorp, Platos Ideenlehre S. 206: „Es ist so richtig von den
Gesetzen Newtons, wie es richtig war von den Konstruktionen des Eudoxus