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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0078
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78

Con st aktin Ritter:

freilich sträuben sich gegen diese Erkenntnis. Allen Ernstes ist
z. B. von ihrer Seite die Forderung erhoben worden, man solle
den Satz, die Summe der Dreieckswinkel sei =2R, empirisch
an recht vielen Dreiecken nachprüfen, am besten an solchen,
deren Eckpunkte durch zwei leuchtende Sterne und das Auge
eines Beobachters bezeichnet seien, denn — so wird zur Be-
gründung gesagt — nur für einen Raum mit dem „Krüm-
mungsmaß“ = 0 könne unser Satz richtig sein und ob der
wirkliche empirische Raum dieses Krümmungsmaß besitze,
das sei eben erst festzustellen: Als ob es möglich wäre, unsere
Messungen nach einer anderen Geometrie vorzunehmen, als der,
für die eben die Euklidischen Parallelensätze und Dreieckswinkel-
sätze gelten; und ferner möglich, Werkzeuge herzustellen, mit
denen wir Linien ziehen könnten, die so völlig ihre Richtung ein-
hielten wie die bloß in Gedanken von uns gezogenen, und mittels
der wir die Richtung und Länge gezogener Linien mit derselben
Genauigkeit abmessen könnten, die uns die logische Entwicklung
konstitutiver Merkmale einer zu zeichnenden Figur oder die Aus-
führung der bloßen Gedankenkonstruktion ergibt!
Denken wir uns einmal aus, was eigentlich geschehen müßte,
damit von dem vorgeschlagenen Verfahren überhaupt ein Erfolg
zu hoffen wäre. Nehmen wir an, es trete jemand wirklich an die
Aufgabe der Nachmessung heran, ein Mann, der auf peinlich
genaue Beobachtung eingeschult sei. Er soll sich 1000 durch
unverrückbare Punkte bestimmte Dreiecke auswählen, soll ihre
Winkelsumme ausmessen mit Instrumenten, die von den größten
Konstruktionskünstlern hergestellt wurden und das Ergebnis
sämtlicher Posten wieder mit 1000 teilen. Was käme wohl
heraus ? Nur ein Zufall von allergeringstem Wahrscheinlichkeits-
grad — das weiß der Mann selbst, wenn er vorher über seine Methode
nachgedacht hat — könnte es mit sich bringen, daß eine solche
Durchschnittsrechnung den wahren Wert ergäbe. Jede einzelne
Messung wird ja wegen ganz unvermeidlicher Fehler von diesem

lind seiner Nachfolger, daß sie nicht aus den Phänomenen abzulesen, sondern
theoretisch aufzustellen waren, aufzustellen, um die Phänomene selbst unter
Gesetzen d. h. Gleichförmigkeiten erst darzustellen, die in den Phänomenen
als solchen nicht lagen. Gleichförmigkeiten der Bewegung, wie etwa das
Galileische Axiom der Beharrung sie ansetzt, können genau so wenig an
sinnlichen Daten aufgezeigt werden, wie der Satz des Pythagoras durch
Messung an körperlichen Modellen exakt bewiesen werden könnte.“
 
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