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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0079
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft. 79
etwas abweichen, und so werden die Einzelergebnisse um diesen
herum schwanken. Für eine solche durch kein klares Prinzip ge-
leitete Methode gilt wirklich der skeptische Einwand, den Menon1
dem Sokrates machen wollte: „wie willst du das suchen, wovon
du überhaupt nicht weißt was es ist ? was für ein dir imbekann-
tes Ziel willst du denn dabei deinem Suchen setzen ? oder was wird
dir, wenn du wirklich darauf stoßen solltest, Gewißheit darüber
schaffen, daß du jetzt eben das Richtige hast, das du nicht
kanntest?“ Es kann ja einmal bei einer Einzelmessung auch 180°
für die Winkel eines einzelnen Dreiecks herauskommen oder kann
aus 1000 Messungen, von denen ein Teil je einen kleinen Über-
schuß über 180°, der andere je einen kleinen Abmangel daran
zeigte, indem das Plus und Minus in der Summierung sich genau
aufheben, 180° als Durchschnitt berechnet werden. Dann wird
aber sicher die nächste oder übernächste und dritte, vierte, fünfte
Messung nicht bloß selbst wieder von 180 sich etwas entfernen,
nach oben oder unten, sondern auch den etwa auf 180 berechneten
Durchschnittswert wieder abändern. Und warum sollte dann 180
richtiger sein als jedes beliebige durch Messungen gelieferte
180+ x ? Oder welcher von den tatsächlich ermittelten in dem un-
bestimmten x steckenden anderen Werten sollte vor 180 den
Vorzug verdienen ? Ich glaube, keiner jener Empiristen wird uns
das sagen können.
Der Streit zwischen Platon und seinen Gegnern
betrifft im Grunde denselben Punkt, um den Kant sich gegen
Hume verstritten hat, das Apriorische der Wissenschaft,
das am Beispiel mathematischer Sätze besonders scharf hervor-
gehoben werden kann. Und ich denke, nicht bloß die eigent-
lichen Kantianer werden sich auf Platons Seite stellen wollen.
Aber hat sich nicht Platon dadurch von unseren modernen
Forschern gründlich unterschieden, daß er das Untersuchungs-
mittel verschmäht, das für sie das allerfruchtbarste geworden ist,
das sie deshalb auch besonders hochschätzen und jeden Augenblick
anzuwenden bereit sind, das Experiment? Hat er nicht sogar
sein völliges Unverständnis dafür bekundet, indem er die experi-
mentierenden Physiker geradezu verhöhnt ?
Das ist eine Einrede, die wir nicht übergehen dürfen. Und es
ist wahr, er spottet über die experimentierenden Physiker und

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