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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0081
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft. 81
Künstler der ihn gestaltet hat so schön und so sorgfältig als immer
möglich geordnet sind, so ist es doch widersinnig zu meinen, daß
sie als Bewegungen sichtbarer Körper sich immer unveränderlich
gleich bleiben, und daß man durch ihre bloße Betrachtung schließ-
lich der Wahrheit sich bemächtigen könne. Ähnlich wird nachher
bezüglich der Tonlehre die Mahnung gegeben, es sei darauf zu
achten, daß die Betrachtung nicht an Äußerlichkeiten haften
bleibe. Es sei lächerlich, wenn manche Musiktheoretiker das
Grundmaß der Töne mittels angestrengtesten Horchens und Experi-
mentierens an den Instrumenten lieber nach dem Urteil ihrer Ohren
als dem des Verstandes bestimmen wollen, „indem sie von Ver-
dichtungen oder weiß Gott was reden und ihre Ohren hinhalten,
als wollten sie vom Nachbarhause her einen Laut auffangen,
wobei die einen behaupten, sie unterscheiden noch einen Ton
zwischendrin und das sei das kleinste Intervall, das man zum Maße
nehmen müsse, die andern dagegen Einspruch erheben mit der
Versicherung, es sei dieses und jene& der nämliche Klang, beide
aber den Ohren mehr Hecht zugestehen als der Vernunft.“ Von
solchen gar nicht zu reden, macht Sokrates auch den verständigeren
Theoretikern den Vorwurf, daß sie ähnlich den Astronomen sich
ergebnislose Mühe machen damit, daß' sie die gehörten Zusammen-
klänge und Töne gegeneinander abmessen1, anstatt die Töne, die
sie anklingen hören, als bloße Andeutungen (προβλήματα) zu be-
nützen, um über sie hinausgehend zu erforschen, in welchen
Zahlenverhältnissen Wohlklang und Mißklang begründet sei2.
Die tadelnden Sätze sind mit schwerem, vielleicht nicht ganz
verdientem Spott über die Leute belastet, die zurückgebeugten
Halses zum Himmel gaffen, in der Meinung, diese Körperhaltung
schon bringe die Erhebung über den niedrigen Bezirk der Sinn-
lichkeit zuwege, und über die „wackeren Leute, die die Saiten
auf die Folter spannen und peinlich verhören.“ Allein, worauf es
ankommt: die Bedenken, die Platon dem reinen Empirismus ent-
gegenhält, sind wohl begründet3. Und grundsätzlich beurteilt
1 531 a άνήνυτα πονοΰσιν τάς άκουομένας συμφωνίας καί φθόγγους άλλήλοις
άναμετροϋντες.
2 τίνες ξύμφωνοι αριθμοί καί τίνες ου, καί διά τί έκάτεροι.
3 Natorp, dessen Urteil über die hier besprochenen Ausführungen
Platons ich mit dem mehligen völlig in Übereinstimmung finde, schließt seine
Untersuchung darüber mit folgenden Sätzen ab: „Also die Empirie wird
keineswegs weggeworfen; sie genügt bloß nicht, es fehlt ihr gleichsam der
Kopf, wenn sie sich nicht bis zur Theorie vollendet. Und wenn sie wohl gar

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 191Sh 19. Abh.

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