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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0087
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft.

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Laertius ähnlich überlieferte) Angabe, Platon habe „die analytische
Methode, die das Gesuchte auf ein bereits zugestandenes Prinzip
zurückführt, dem Laodamas mitgeteilt, der dadurch zu vielen
geometrischen Entdeckungen hingeleitet worden sein solle“1;
bedenken wir, daß Platon immer das geistige Haupt der Akademie
geblieben ist; erinnern wir uns, daß er auch den Astronomen seines
Kreises die wichtigsten Probleme angab, die sie zu bearbeiten
unternahmen (s. oben S. 53), so werden wir in der Tat die von so
sachverständigen Beurteilern wie Usener und Cantor aus-
gesprochene Würdigung gerechtfertigt finden, daß „Platon für
die Mathematik unendlich viel mehr geleistet hat, als bei aller
1 „Analysis“ heißt es bei Eukleides, „ist die Annahme des Gesuchten
als zugestanden durch die Folgerungen bis zu einem als wahr Zugestandenen
{Synthesis aber die Annahme des Zugestandenen durch die Folgerungen bis
zu dem Erschließen und Wahrnehmen des Gesuchten)“. Auch diese Defini-
tion wird aus Platons Schule stammen. Platon selbst bedient sich des analy-
tischen Verfahrens bei seinem geometrischen Beispiel im Menon. Es ist eigent-
lich nichts anderes als das Verfahren des Beweisens εξ ύποθέσεως, das Platon
im allgemeinen für wissenschaftliche Untersuchungen empfiehlt (vgl. meinen
Aufsatz über Platons Logik Philolog. LXXV, 1919). Für geometrische Kon-
struktionsaufgaben ist es das einzig naturgemäße Verfahren, das gele-
gentlich auch schon vor Platon Anwendung fand, wie Hankel, Zur
Gesch. d. Mathematik 1874, zeigt. Aber — so sagt dieser S. 146/47 — „das
Verdienst Platons bestand darin, diesen Weg den Geometern zum Bewußtsein
gebracht, ihn als einen eigentlich wissenschaftlichen nachgewiesen und zu
einer klaren Methode entwickelt zu haben, welche dermaßen die wesentliche
und genetischeist, daß sie in weiteremVerlaufe der größten und weitreichendsten
Disziplin der Mathematik selbst den Namen gegeben hat. Die griechischen
Geometer würden, wie oft sie auch bei der Lösung von Problemen einen analy-
tischen Gedanken eingeschlagen hätten, bis zuletzt bei der Synthesis allein
stehen geblieben sein, hätte nicht Platon durch seine Schule einen so mäch-
tigen Einfluß auf sie gewonnen. Platon aber hat durch die Aufstellung der
Analysis als wissenschaftlicher Methode gerade das geleistet, was dem Philo-
sophen zufiel . . . (die Verbindung philosophischer und mathematischer
Produktivität, wie wir sie außer in Platon wohl nur noch in Pythagoras,
Descartes, Leibniz vorfinden, hat der Mathematik immer die schönsten
Früchte gebracht: ersterem verdanken wir die wissenschaftliche Mathematik
überhaupt“ [der Glaube an die Richtigkeit dieses Satzes ist allmählich stark
erschüttert worden], „Platon erfand die analytische Methode, durch welche
sich die Mathematik über den Standpunkt der Elemente erhob, Descartes
schuf die analytische Geometrie, unser berühmter Landsmann den Infinitesi-
malkalkül — und eben das sind die vier größten Stufen in der Entwicklung
der Mathematik).“ — In engem Zusammenhang mit der analytischen Methode
steht die Untersuchung der Frage, ob ein Problem überhaupt lösbar sei und
die Begrenzung der Möglichkeit seiner Lösung.
 
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