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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0098
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98

Constantin Ritter:

Weisungen eines tüchtigen Mathematikers hergestellt und ge-
handhabt werden können. Also wenn man Platon seine Vernach-
lässigung des Experiments und sein Urteil über experimentierende
Physiker verübeln will, dann soll man nicht übersehen, daß er
alle Sorgfalt und Mühe darauf verwandt hat, die Vorbedingungen
zu schaffen, unter denen erst mit Aussicht auf guten Erfolg experi-
mentiert werden konnte.
Aber die Anwendung teleologischer Gesichtspunkte,
unter die Platon die Entwicklung der Naturdinge so häufig stellt,
namentlich auch im Timaios: bedeutet sie nicht einen scharfen
Gegensatz gegen die Betrachtungsweise unserer Naturwissen-
schaftler? Um diese Frage beantworten zu können, werfen wir
noch einmal einen Blick auf die Schilderung der Gestaltung
des Kosmos im Timaios. Man hat sie seit alter Zeit oft mit dem
biblischen Schöpfungsbericht verglichen und einige Ähnlichkeiten
drängen sich von selbst auf1. Die eingehende Vergleichung zeigt
aber doch sehr große Unterschiede2.
Suchen wir aber einen vergleichbaren Bericht über die Welt-
gestaltung bei Philosophen oder Naturforschern der neueren Zeit.
Besonders gut Entsprechendes böte wohl Schelling. Doch will ich
lieber Kants (oder Laplaces) Theorie von der Bildung unseres
Sonnensystems heranziehen. Ich darf sie bei den Lesern als so
bekannt voraussetzen, daß ich sie nicht auszuführen brauche.
Auch sie erzählt uns, was kein Mensch hat beobachten können
und worüber es keine Aufzeichnung gibt. Wodurch unterscheidet
sie sich aber hauptsächlich von der Darstellung des Timaios ?
Ich meine dadurch, daß hier von keiner göttlichen Macht und des-
halb auch von keinen Absichten oder Zwecken, die verwirklicht
werden sollten, die Rede ist3. Nach bloß mechanischer Ver-
1 Z. B. die volle Befriedigung, mit der der göttliche Weltbaumeister,
der auch als Vater aller seiner Geschöpfe bezeichnet wird, auf sein vollendetes
Werk blickt, erinnert an den väterlich waltenden Schöpfergott des A. T.,
der am 7. Tage ansah alles was er gemacht hatte: ,,und siehe, es war sehr gut.“
2 Der bedeutsamste davon scheint mir der zu sein, daß der alttestament-
liche Gott in der von ihm aus dem Tohu Wabohu geschaffenen Welt den
Menschen zu seinem Ebenbild gestaltet, während der platonische Demiurgos
den Kosmos selbst zu seinem Ebenbild macht und nur in vermittelter Weise
auch den Menschen.
3 Eben darum werden die meisten unserer Naturwissenschaftler d i e
Kantische Theorie rühmen und die platonische Darstellung verwerfen. Sie
werden sagen: die Berufung auf göttliche Macht und göttlichen Einfluß sei
 
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