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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0107
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft. 107
ker Platon Recht geben, wenn sie bemerken, daß für ihn dieser Satz
sich nur als eine auf das ethische Gebiet eingeschränkte Anwendung
eines allgemeineren Satzes darstellt, nämlich daß Gott nichts wollen
und tun könne, was unserer Vernunft als widersinnig erscheint, daß
also auch die Gesetze der Logik und Mathematik zu der Notwendig-
keit, der er unterworfen ist, gehören. Freilich den Ausdruck, daß Gott
dieser Notwendigkeit „unterworfen“ sei, hätte Platon selbst als un-
glücklich bezeichnet. Für ihn sind jene Gesetze mitsamt den sitt-
lichen ein Stück der göttlichen Weltordnung oder eine Seite des gött-
lichen Wesens selber. Eben deshalb erscheint ihm auch die Be-
schäftigung mit ihnen, die Vertiefung in die Tatsachen, in denen
sie zum Ausdruck kommen, und die Ergründung ihres Sinnes
nichts anderes als Theologie zu sein. In den Nomoi bemerkt er1,
daß ängstliche Leute oft vor dem Studium der Astronomie und der
anderen mathematischen und exakten Wissenschaften warnen, weil
dadurch der fromme Glaube gefährdet und atheistische Über-
zeugungen begründet werden. Dagegen erklärt er, diese schlimme
Wirkung sei bloß bei oberflächlicher Beschäftigung mit diesen
Dingen zu befürchten. Wenn jedoch die Erforschung der Natur
mit der nötigen Gründlichkeit und dem rechten Ernst betrieben
werde, so werde sie geradezu die festeste, ja die allein sichere
Stütze frommen Glaubens und Lebens2. Und darum sei die Er-
forschung der Natur nicht, wie man hören könne, ein vermessenes,
den Göttern verhaßtes Eindringen in ihre Geheimnisse, sondern
umgekehrt der Gottheit lieb und religiöse Pflicht.
Außerdem ist aber zu beachten, daß es Platon niemals ein-
gefallen ist, den BestandderWelt mit all ihren einzelnen Be-
stimmtheiten und Gestaltungen allein aus teleologischer Be-
trachtung erklären zu wollen. Die aus dem geistigen Gehalt
der Wirklichkeit zu erschließenden Ursachen sind ihm allerdings die,
von denen der erste Anstoß zur Gliederung und Ordnung der Massen
und namentlich auch zu organischen Bildungen ausgeht; er bezeichnet
den in der Welt waltenden göttlichen Geist gelegentlich als die Ur-
sache alles Werdens: aber neben ihr unterscheidet er die mitbedingen-
den Verhältnisse, die συναίτια, ohne die das vom Geist Erdachte und
Gewollte sich nicht in der konkreten Form ausprägen könnte,
die uns erfahrbar ist. Indem er sich bemüht, durch begriffliche
Merkmale die erfahrbare Wirklichkeit zu beschreiben, findet er
1 Nom. 821 a.
2 Vgl. auch Tim. 90 cd und meine Inhaltsdarstellung· S. 141.
 
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