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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0108
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108

Consta ν τι n Ritter:

in ihr dem unsinnlichen Bestandteil der wirkenden Kraft gegen-
über den sinnlichen des Stoffes und als dessen Grundeigenschaft
erkennt er, wie wir oben gesehen haben, die raumerfüllende Körper-
lichkeit. Nachdrücklich hebt er an verschiedenen Stellen des
Timaios hervor, daß zur Erklärung der Erscheinungen die teleolo-
gische und ätiologische Betrachtung nebeneinander angewandt
werden müsse, keine der beiden für sich genüge, da die Welt aus
dem Zusammenwirken von Vernunft und Notwendigkeit ent-
standen sei.
Eine genaue Betrachtung wird übrigens die ganze Erzählung
von der schöpferischen Gestaltung der Welt durch Gott als Be-
standteil der mythischen Einkleidung der Gedanken des ,Timaios
erkennen lassen. Es ist schon oben S. 40, Anmerkung 4, aus-
gesprochen worden, daß wir uns die Entstehung der Zeit, die mit
der ordnenden Gestaltung der Massen zusammenhängt, nicht vor-
stellig machen können. Ebenso wenig können wir uns vorstellen,
was Gott getan und gewirkt haben möchte, ehe er die Welt schuf.
Da aber für Platon das Sein dem Wirken gleich ist (s. oben S. 7),
so hätte Gott selber, ehe er wirkte, auch nicht bestehen können.
Denken wir ferner an die Eigenschaften, durch die Platon das
Wesen Gottes zu kennzeichnen sucht: vollkommene Güte, voll-
kommene Erkenntnis des Besten, das zu verwirklichen seine Güte
ihn treibt, und Schöpferkraft1, dann wird sogleich deutlich, daß
dieser Gott, der in zeitloser Ewigkeit lebendige, nicht untätig
eine Weile zuwarten kann, sondern daß er seinem Wesen nach
stets nach Vernunftgedanken gestaltend tätig sein muß2. Eben
1 Tim. 29e f.
2 Gott und We 11 gehören für Platon zusammen,
sind nur abstrahendo zu trennen. Eben daraus folgt, daß er sich
auch die Welt nur als ewig (in zeitlich wechselnden Gestaltungen)
denken, und weder an einen wirklichen ersten Anfang des Geschehens
glauben kann, noch an ein schließliches Aufhören desselben in bewegungs-
und antriebslosem Gleichgewicht, einem Zustand der „Entropie“, wie
ihn der Phaidon 72 b, c beschreibt. — Aristoteles freilich bezeichnet
sich selbst als den ersten, der nicht bloß die endlose Fortdauer, sondern
auch die Anfangslosigkeit der Welt gelehrt habe (de cael. I, 10. 279b, 12),
und Zeller behauptet deshalb, trotz des Gegenzeugnisses, das Xeno-
krates dagegen ablegt, es könne ihm „keinenfalls eine Erklärung seines
Lehrers bekannt gewesen sein, welche die dogmatische Auffassung der ihm
im Timäus vorliegenden Darstellung ausschloß“ (Vortr. u. Abh. III, S. 5f.).
Ich setze dagegen die Behauptung, daß ja Aristoteles alles das selber gefunden
haben will, was von platonischen Gedanken in scholastische Formeln zu fassen
 
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