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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0112
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112

ConstanTin Ritter:

Im übrigen ist zu beachten, daß Platon gerade in dem Zu-
sammenhang, dem jene anstößigen Sätze angehören, sich so grob
sinnlicher Veranschauungsmittel bedient, daß man wirklich nicht
versucht sein kann, ihn streng beim Wort zu nehmen. Gedenkt
er doch bei Schilderung der Zusammenmischung der Weltseele
und der Menschenseelen aus nicht stofflichen Elementen auch des
Mischkessels, der dazu von Gott benützt worden sei1, womit für
jeden aufmerksamen Leser seine oft wiederholte Mahnung in Er-
innerung gebracht wird, er solle in der ganzen Darlegung keine
Erscheinung, die Seele die Seite der Selbsterscheinung dieses Wesens nennen“. .
„Eins läßt sich ohne das andere nicht haben, etwas dahinter nicht zeigen,
nicht finden.“ (Über die Seelenfrage S. 210f., vgl. S. 221 u. 227). Ich meine,
diese Erklärungen und die weiter von Fechner gegebenen Ausführungen
kommen so ziemlich auf dasselbe hinaus, was Platon meint, indem er die Welt
für ein ζωον έμψυχον erklärt. Namentlich auch zu dem oben S.109 abgedruckten
Schlußsatz des Timaios bieten sich aus Fechner ganz überraschende Parallelen.
Ich führe folgende an: „Das von Anbeginn wie noch heute in sich zusammen-
hängende irdische System, eins von den, der Form nach in sich geschlossenen,
weit von einander schwebenden, materiellen Systemen des Himmels hat sich
im Laufe seiner Entwickelung in große, das Ganze unterbauende, das Ganze
umfangende und durch das Ganze ziehende, verhältnismäßig einfache, Teil-
systeme, Erdreich, Wasser, Luft, und kleinere, der Form nach geschlossene,
aus jenen zusammengesetzte Systeme, das sind die einzelnen Organismen“,
[gemeint sind doch wohl die Gattungen und Arten derselben, also platonisch
ausgedrückt ihre „Ideen“], „gegliedert, und diese weiter nach demselben
Prinzipe in große, das Ganze unterbauende, umfangende und durchziehende
verhältnismäßig einfache Teilsysteme, Knochen, Häute, Nerven, Adern, und
kleinere, der Form nach geschlossene, aus jenen zusammengesetzte Systeme,
das sind die einzelnen Organe, untergegliedert“ (a. a. O. S. 156). — Der Ge-
danke einer Weltseele ergibt sich aus Fechners Betrachtungen mit selbst-
verständlicher Folgerichtigkeit. Er findet Ausdruck z. B. in folgenden Sätzen:
„Gott hat als Geist ein \rerhältnis zur Körperwelt; das Verhältnis des Geistigen
zum Körperlichen lernen wir an uns; aber Gott hat als allgemeinster, größter,
höchster Geist ein Verhältnis zum Allgemeinsten, Größten, Höchsten der
Körperwelt;. . . der höhere Geist wird von einem höher entwickelten Organis-
mus getragen . ., der weiteste und höchste Geist von dem weitesten und höchst
entwickelten Organismus . . ., das ist die W’elt selbst, nicht die unorganische,
sondern die ganze, mit dem Ursprünge und allen Geschichten und Geschicken
der Völker“ (S. 118) . . . „Die allgemeinste, gewisseste und sicherste Erfah-
rung, die wir machen können, ist die, daß alles, was nicht Bewußtsein ist, als
Raum, Zeit Materie, Atom, Gesetz, nur im Bewußtsein oder aus dem, was im
Bewußtsein erscheint, abstrahiert ist. Und ein höchstes und letztes Bewußt-
sein wird daher die ganze Umfassung und seine Einheit der letzte Knoten
und die höchste Spitze dessen, was ist, sein.“
1 Tim. 41 d.
 
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