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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0118
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118 Constantin Ritter: Platons Stellung zur Naturwissenschaft.
Philosophen1, die Durchschnittsbürger der verschieden geordneten
Staaten, des timokratischen, plutokratischen, demokratischen, und
den Tyrannen2 — weiß Platon mit so packender Anschaulichkeit
zu zeichnen, daß man wohl sieht, er hat sich die Skizzen dazu bei
scharfen Einzelbeobachtungen gemacht. Reich sind seine Schriften
ferner an beiläufig erwähnten geschichtlichen Tatsachen. Und wie
trefflich sind wieder die allgemeinen Bemerkungen über solche,
wobei er z. B. ganze Völker und Völkergruppen mit einander ver-
gleicht und kennzeichnet3 oder Übersichten über geschichtliche
Entwicklungen gibt. Besonders reich an solchem Inhalt ist das
dritte Buch der Nomoi mit seinem Abriß einer allgemeinen Kultur-
geschichte der Menschheit und seiner Vergleichung der persischen
und athenischen Geschichte4. Es gehört das zum Besten, was
wir überhaupt aus dem Altertum über solche Dinge haben, und ist
entsprechenden Abschnitten des Thukydides ebenbürtig. Daß die
Schilderung der athenischen Gesellschaft und ihres Treibens nur
in der attischen Komödie gleich gut und lebendig gegeben ist, wie
in den platonischen Dialogen, ist anerkannt. Und dann noch eins:
wer kann die Schilderung des Eros im Phaidros und im Symposion
lesen, ohne daß er fühlt: hier sind psychologische Tiefen aufgedeckt,
in die nicht jedes Auge hinabreicht! Überhaupt die Feinheit der
psychologischen Beobachtungen, die uns da und dort geboten wer-
den, ist ganz staunenswert. Doch damit genug.
Ich schließe, indem ich mein Gesamturteil abgebe: Platon
faßt die Aufgabe der Erforschung der Natur im
allgemeinen eben so wie ein tüchtiger moderner
Naturforscher. Sein Blick ist stets aufs Ganze ge-
richtet und dringt in die Tiefe; jedoch niemals ver-
säumt er dabei die scharfe Beobachtung der Einzel-
heiten. Um diese klar zu erfassen, dazu hat Platon
im wesentlichen dieselben Mittel benützt, wie wir,
und er besaß persönlich die Ausstattung, um sie mit
bestem Erfolg anzuwenden5.
1 Theait. 172 c ff.
2 Pol. 548d ff., 553a ff., 558c ff., 571a ff.
3 z. B. Pol. 435 e f., Nom. 637 a—c, 674 a, 805 d e.
4 Vgl. meine Inhaltsdarstellung S. 19—28.
5 Windelband, a. a. O. S. 122, bezeichnet den Demokritos als „den
größten Naturforscher des Altertums“. Ich glaube, wer das nachsprechen
kann kennt Platon nicht.
 
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