Metadaten

Koch, Hugo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 22. Abhandlung): Kallist und Tertullian: ein Beitrag zur Geschichte der altchristlichen Bußstreitigkeiten und des römischen Primats — Heidelberg, 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37699#0054
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
50

Hugo Koch:

Bevor Hippolyt den Anklagepunkt wegen der standeswidrigen
Ehen vorbringt, faßt er die vorhergehenden Punkte zusammen,
indem er von Kallist und seinem Anhänge sagt: διό καί πληθύνονται
γαυριώμενοι επί οχλοις διά τάς ήδονάς, άς ού συνεχώρησεν 6 Χριστός* ού
καταφρονήσαντες ούδέν άμαρτεΐν κωλύουσι, φάσκοντες αύτόν άφιέναι
τοΐς εύδοκοΰσι. Esser meint, hier könne der Ausdruck διά
τάς ήδονάς nicht auf die Vergebung der Unzuchtssünden nach
geschehener Buße bezogen werden. Das sei durch den Zu-
sammenhang, sowie durch den Zusatz άς ού συνεχώρησεν όΧριστός
ausgeschlossen. Hippolyt könne unmöglich behaupten, daß
Christus den Fleischessündern nicht verziehen habe; selbst
der Montanist Tertullian habe eine solche Behauptung nicht
gewagt, vielmehr bereite ihm diese Tatsache eine große Schwierig-
keit, die er in De pud. c. 11 wegzuräumen suche.
Das heißt aber doch einem leidenschaftlichen Streithahn allzu-
genau nachrechnen und seine erregte Sprache verkennen. Das
συγχωρεΐν, das er zum zweitenmal gebraucht und das dann wieder,
wie schon das erstemal, durch άφιέναι abgelöst wird, schillert
— ungefähr unserem „Nachsehen“ entsprechend — zwischen ,Nach-
lassen“ und „gestatten“ und ist wohl absichtlich um seiner Zwei-
deutigkeit willen gewählt* 1. Und selbst wenn Hippolyt sagen wollte,
daß Christus Fleischessünden nicht verziehen habe, wäre dann
diese Behauptung so ungeheuerlich ? Davon, daß Jesus auch
im Kreise seiner Jünger und Anhänger Fleischessünden zu behan-
deln gehabt hätte, ist nichts bekannt. Bei Kallist aber handelt
d’Alüs (224f.) und Esser (1914, 41), daß Kallist in diesem Falle der christ-
lichen Freiheit eine Gasse bahnte. Daß Hippolyts Vorwurf vom Standpunkt
des römischen Rechts aus gebildet ist und die Entrüstung des Vornehmen
gegen den Emporkömmling verrät, zeigt Konrad Graf Preysing in der
Ztschr. f. kath. Theol., 1914, 421 ff. Warum V. Schultze (Theol. Litbl.
1916, 312) die Anschauung K. Bihlmeyers (Die ,syrischen1 Kaiser zu Rom
und das Christentum, 1916, 151), daß sich Kallist hauptsächlich auf die
breite Masse der kleinen einfachen Leute gestützt habe, Hippolyt dagegen
mehr vornehme und gebildete Kreise in seiner Gefolgschaft gehabt habe,
verwunderlich findet und das Gegenteil für „richtiger“ hält, ist selbst ver-
wunderlich. Hippolyts Sprache ist hier ziemlich deutlich.
1 In Dostojewskis „Großinquisitor“ sagt dieser „Verbesserer des
Werkes Jesu“: „Wir werden ihnen sogar die Sünden vergeben und sie werden
uns wie Kinder dafür lieben, daß wir ihnen zu sündigen erlauben.
Wir werden ihnen sagen, daß jede Sünde ausgekauft werden kann, wenn
sie nur mit unserer Erlaubnis begangen worden ist“ („Die Weltliteratur“,
1916, Nr. 46, S. 5).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften