Metadaten

Jacobs, Emil [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 24. Abhandlung): Untersuchungen zur Geschichte der Bibliothek im Serai zu Konstantinopel, 1 — Heidelberg, 1919

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37730#0020
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
12

Alte und neue Märchen.

„Es hat in der That eine seltsame Bewandtniß mit dieser
geheimen Serailbibliothek. Als die gelehrte Mission des Papstes
Nicolaus um das Jahr der Einnahme Konstantinopels das hebrä-
ische Urevangelium des Matthäus vergebens aufgesucht hatte -
es galt einen Preis von 5000 Scudi — hinterbrachte sie nach Rom
die Auskunft, dasselbe sey in die Schätze des 'Serails gerathen.“
Und im Jahre 1872 hat Ti schendorf, nunmehr längst ein
berühmter Mann, dessen Stimme weithin hallte, dasselbe in der-
selben Zeitung noch einmal gesagt1.
Läßt sich ein Gelehrter von Weltruf herab im Feuilleton zu
plaudern, so pflegen die Leser, dankbar für die bequeme Form der
Belehrung, die Sache selbst ohne weiteres als wahr zu unter-
stellen. So ist es auch hier geschehen.
W enn diese Geschichte wahr wäre, so würde sie beweisen,
daß das „Geheimnis der Seraibibliothek“ sozusagen vom Tage der
Eroberung Konstantinopels datiert, daß man von Anfang an
an das Vorhandensein kostbarer Handschriften im Serai geglaubt
hat. Aber an dieser Geschichte ist kein wahres Wort. Das alte
Übel, das Abschreiben nicht kontrollierter Zitate, ist auch hier
wieder einmal der Grund alles Irrtums geworden, und kühne Kom-
bination hat dann das ihrige dazugetan, um das Märchen vom
Ur-Matthäus im Serai zurecht zu machen.
Zwei Nachrichtenbestandteile sind zu scheiden; der eine:
Papst Nikolaus V. habe auf die Herbeischaffung des Ur-Matthäus
einen hohen Preis gesetzt, der andere: der Ur-Matthaeus sei ins Serai
entrückt. Beide sind nichts als Erfindung. Gewiß, der Papst hat
auch nach der Eroberung von Konstantinopel seine Emissäre zu
den Türken gesandt, um von griechischen Handschriften einzu-
bringen, was irgend zu haben war2, aber keiner der Lobredner
1 Allgemeine Zeitung Nr. 308, Beilage, 3. November 1844, S. 2457—58:
Wanderungen in und um Konstantinopel, später aufgenommen in: Const.
Tischendorf, Reise in den Orient, Bd. II, Leipzig 1846, S. 285 f. — Allgemeine
Zeitung Nr. 181, Beilage, 29. Juni 1872. S. 2769—70: Const. v. Tischen-
dorf, Die Serailsbibliothek und Kritobulos.
2 Fr. Filelfo an Papst Calixtus III., Mailand Februar 1456 (Fr. Philelphi
Epistolarum familiarium 1. 37, Venedig 1502, Bl. 92): Quid quod.post urbis
Constantinopolitanae captivitatem, atque miseram illam et infortunatam de-
populationem nuncios suos et negociatores clam misit, per universam illam, et
Europam, et Asiam, quae Turcis paret, ad conquirendos emendosque graecos
Codices, nulli neque labori parcens neque impensae. Neque id negocii fructra
susceptum est, nam innumerabilia prope Volumina, ingenti etiam precio
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften