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Jacobs, Emil [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 24. Abhandlung): Untersuchungen zur Geschichte der Bibliothek im Serai zu Konstantinopel, 1 — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37730#0135
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Girardin und die Handschriften Mustafas.

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Abhandlung die Hoffnung ausgesprochen wird, die Handschriften
würden, erkannt am Siegelstempel, eines Tages sich in den Samm-
lungen des Okzidents und Griechenlands wieder feststellen lassen,
so hat diese Hoffnung, soweit meine Kenntnis reicht, bis heute
getrogen1.
Für uns hier aber ist die wichtige Frage: woher stammen die
16 Handschriften, die durch Girardin nach Paris kamen, in Wirk-
lichkeit? Hat Girardin in der Tat rund 200 Handschriften aus
der Bibliotheque du Grand Seigneur zur Auswahl vor sich gehabt ?
Der Vorgang ist ebenso unerhört wie merkwürdig. Merkwürdig,
wie verhältnismäßig leicht der Gesandte an diese Bibliothek heran-
gekommen ist: es scheint, daß niemand ihm mit den einige Jahr-
zehnte später so beliebten Ausreden, die Bibliothek sei verbrannt,
oder Murad IV. habe sie vernichtet, abschreckend entgegengetreten
ist. Kannte man die erstere, die doch in den Zeitungen gestanden
und bereits in die Bibliothekshandbücher übergegangen, nicht ?
War die letztere noch nicht erfunden ? Oder wollte man gar keine
Ausreden machen, sondern nur Schwierigkeiten — Vortäuschen,
um mehr zu verdienen ? Denn um Geldgewinn ist es doch dem
italienischen Benegaten, wenn er auch ein komme d’esprit nach
Girardin war, und seinen Helfern gewiß in erster Linie zu tun
gewesen.
Tout est ä present ä vendre d Constantinople, oü il n1 y a rien
de plus rare et de plus estime que Vargent. So schrieb 1687 Girardin
an Thevenot1. Eine furchtbare Lotterwirtschaft herrschte in der
Tat. Im Heere und unter den Beamten war seit langem die Nei-
gung zu offenem Aufstand gegen den Sultan Mehemmed IV., der
kaum etwas anderes kannte als die unbändigste Jagdleidenschaft,
vorhanden. Seine eigenen Juwelen hatte er bereits verkauft, um
zur Bestreitung der Kriegskosten beizutragen. Vergebens; am
8. November 1687, also wenige Monate, nachdem Girardin seinen
Handel mit dem italienischen Renegaten abgeschlossen, ereilte ihn
das Schicksal der Entthronung2. Trotzdem muß es als ausge-
schlossen gelten, daß der Verkauf der Handschriften an Girardin
mit Genehmigung des Sultans geschehen sei. Mit rechten Dingen
ist es nicht zu gegangen.
1 Omont a. a. O. S. 264; Villoison a. a. O. S. 15.
2 Vgl. Jorga: Geschichte des osmanischen Reiches, Bd. 4, Gotha 1911,
S. 222; v. Hammer: Geschichte des osmanischen Reiches, Bd. 6. Pest 1830.
S. 497; Villoison a. a. O. S. 8.
 
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