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Cartellieri, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 6. Abhandlung): Charles Rogier — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37683#0005
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Charles Rogier.

Das Jahr 1824 wurde für Rogier entscheidend. Es bot sich
ihm die Aussicht, sich dauernd mit Politik zu beschäftigen; mit
Freuden griff er zu. Er gründete mit seinem Bruder und einigen
Freunden das ,, Journal politique, litteraire de l’industrie et du
commerce Mathieu Laensbergh“. Zu den Gründern gehörten
auch Paul Devaux und Joseph Lebeau, die nachmals wie die beiden
Brüder in dem politischen Leben Belgiens so stark hervortreten
sollten. Eine Mitarbeiterschaft entstand, die für die Geschicke
des Landes von größter Bedeutung wurde.
Für das Königreich der Niederlande nahte eine kritische
Zeit, das künstliche Gebilde des Wiener Kongresses krachte in
allen Fugen. Die Diplomaten hatten gemeint eine außerordentlich
glückliche Hand zu haben, als sie Gedanken eines Karls V. wieder
aufleben ließen und die alte Form mit neuem Inhalt füllten: der
Pufferstaat der Herzoge von Burgund sollte jetzt eine Vormauer
Germaniens, eine Schutzwehr gegen Frankreich bilden. Der Nach-
komme des großen Schweigers verschmähte es nicht, als Schild-
wache Groß-Britanniens auf dem Festlande zu stehen. Doch ihre
„Vernunftehe“ hatte weder die Holländer noch die Belgier glück-
lich gemacht. Beide Teile standen sich innerlich völlig fremd
gegenüber. Eingedenk ihrer stolzen Vergangenheit, da sie die
Meere beherrschten, schauten die Holländer voller Verachtung
auf die südlichen Nachbarn, die am österreichischen Gängelbande
ein bescheidenes Provinzialdasein geführt hatten. Stolz auf die
Errungenschaften der französischen Revolution, die tief Wurzel
bei ihnen geschlagen hatte, wollten die an Zahl überlegenen
Belgier ihrerseits kein „accroissement“ Hollands sein, das sie
hinter den Fortschritten der Zeit gar zu weit zurückgeblieben
dünkte.
König Wilhelm I. hatte von dem Wiener Kongreß den Auftrag
erhalten, die beiden Länder zu amalgamieren. Er war, wie Metter-
nich einmal spöttelte, ein wackerer Mann mit guten Absichten
und recht gesunden Anschauungen, aber ohne die nötige Intelli-
genz, um sie durchzuführen. Sehr eitel und daher sehr eigensinnig,
konnte er nicht begreifen, daß sein patriarchalisches System ver-
altet war und in Belgien stets neue Unzufriedenheit hervorrief.
Er blieb dem Lande die politische Freiheit schuldig, die er ver-
sprochen hatte. Das vergaß ihm niemand, mochte er noch so zahl-
reiche treffliche Maßregeln zur Hebung des Handels und der
Industrie, der Schulen und Bildung treffen. Sie wurden ihm
 
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