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Otto Cartellieri:
diesem berauschenden Schauspiel versagen, daß innerhalb dreier
Tage aus Bürgern Helden werden; daß ein Volk, das bis dahin
von einer frechen, abgelebten Monarchie gedemütigt wurde, sich
zu Stolz und Freiheit aufrafft/'
Wiederum einige Wochen weiter, und auch Belgien stand
vor der Entscheidung, ob es seine Freiheit erringen wollte.
Am Abend des 26. August 1830 traf in Lüttich die Nachricht
von den Brüsseler Unruhen ein: bei der Aufführung der „Stummen
von Portici“ in der Monnaie hatte die leidenschaftsglühende
Freiheitshymne das Zeichen zum Kampfe gegen die verhaßte
Regierung gegeben.
Rogier erkannte, daß die Schicksalsstunde für Belgien ge-
schlagen hatte. ,,II f'aut que le pouvoir cede a la Belgique ou que
la Belgique cede au pouvoir,“ schrieb der „Politique“. „Soyons
Beiges, ayons nos chambres beiges, notre Constitution beige, nos
lois beiges, notre armee beige,“ hieß es einige Tage später. Die
Julirevolution hatte den Franzosen eine liberale Regierung ge-
bracht: ein gleiches Glück mußte den Belgiern zuteil werden.
Mochte die Dynastie bleiben, nur fort von Holland! Und keine
Annexion durch Frankreich! Ausdrücklich weist der „Politique“
sofort auf diese Gefahr hin. Zunächst vor allem keine Straßen-
kämpfe, kein unnützes Blutvergießen.
Rogier griff sofort ein. Als sich in Lüttich eine Bürgergarde
bildete, stellte er sich an ihre Spitze und wurde bald zu einem
ihrer Kommandanten ausgerufen. Die Bürger verlangten Waffen
und bekamen sie auch, wurden aber in strenger Zucht gehalten.
Auch in Lüttich hielt sich das Militär zurück. Trotzdem ließ Rogier
zur Sicherheit Barrikaden bauen, in der Nähe der Zitadelle eine
Kaserne besetzen. Auf dem Rathause hißte er die Farben der
Stadt. Über eine Woche meisterte er die innere Unruhe, dann
trieb es auch ihn in die Hauptstadt, an den Mittelpunkt der Be-
wegung.
Am 4. September eilte er mit wenigen Genossen nach Brüssel,
auf einem Schimmel, in Frack und Hut, mit der Binde in den
Lütticher Farben. Erst unterwegs wird der Frack gegen eine
Bluse vertauscht. All sein Erspartes, 300 Franken, hat er in der
Tasche. Wieder und wieder ertönt die Marseillaise. Im Walde
von Tervueren wird er beinahe erschossen; der Fürst von Looz
glaubt, Raubgesindel vor sich zu haben. Endlich am Mittag des
Otto Cartellieri:
diesem berauschenden Schauspiel versagen, daß innerhalb dreier
Tage aus Bürgern Helden werden; daß ein Volk, das bis dahin
von einer frechen, abgelebten Monarchie gedemütigt wurde, sich
zu Stolz und Freiheit aufrafft/'
Wiederum einige Wochen weiter, und auch Belgien stand
vor der Entscheidung, ob es seine Freiheit erringen wollte.
Am Abend des 26. August 1830 traf in Lüttich die Nachricht
von den Brüsseler Unruhen ein: bei der Aufführung der „Stummen
von Portici“ in der Monnaie hatte die leidenschaftsglühende
Freiheitshymne das Zeichen zum Kampfe gegen die verhaßte
Regierung gegeben.
Rogier erkannte, daß die Schicksalsstunde für Belgien ge-
schlagen hatte. ,,II f'aut que le pouvoir cede a la Belgique ou que
la Belgique cede au pouvoir,“ schrieb der „Politique“. „Soyons
Beiges, ayons nos chambres beiges, notre Constitution beige, nos
lois beiges, notre armee beige,“ hieß es einige Tage später. Die
Julirevolution hatte den Franzosen eine liberale Regierung ge-
bracht: ein gleiches Glück mußte den Belgiern zuteil werden.
Mochte die Dynastie bleiben, nur fort von Holland! Und keine
Annexion durch Frankreich! Ausdrücklich weist der „Politique“
sofort auf diese Gefahr hin. Zunächst vor allem keine Straßen-
kämpfe, kein unnützes Blutvergießen.
Rogier griff sofort ein. Als sich in Lüttich eine Bürgergarde
bildete, stellte er sich an ihre Spitze und wurde bald zu einem
ihrer Kommandanten ausgerufen. Die Bürger verlangten Waffen
und bekamen sie auch, wurden aber in strenger Zucht gehalten.
Auch in Lüttich hielt sich das Militär zurück. Trotzdem ließ Rogier
zur Sicherheit Barrikaden bauen, in der Nähe der Zitadelle eine
Kaserne besetzen. Auf dem Rathause hißte er die Farben der
Stadt. Über eine Woche meisterte er die innere Unruhe, dann
trieb es auch ihn in die Hauptstadt, an den Mittelpunkt der Be-
wegung.
Am 4. September eilte er mit wenigen Genossen nach Brüssel,
auf einem Schimmel, in Frack und Hut, mit der Binde in den
Lütticher Farben. Erst unterwegs wird der Frack gegen eine
Bluse vertauscht. All sein Erspartes, 300 Franken, hat er in der
Tasche. Wieder und wieder ertönt die Marseillaise. Im Walde
von Tervueren wird er beinahe erschossen; der Fürst von Looz
glaubt, Raubgesindel vor sich zu haben. Endlich am Mittag des